Full text: Vaterländisches Lesebuch für die mehrklassige evangelische Volksschule Norddeutschlands

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Das Altertum. Die Römer. 
mit nur etwa 16 000 Mann den Euphrat und schlug (69) vor den Mauern 
der neuen Hauptstadt Tigranokerta (bei Nisibis in Mesopotamien) die 
zwanzigfache Übermacht, deren Führer beim Anblick des kleinen Römerheeres 
gespottet: „Als Boten sind es zu viel, als Soldaten zu wenig", und die aus- 
drückliche Warnung seines gewitzigten Schwiegervaters, eine Feldschlacht zu 
vermeiden, verachtet hatte. Es war kaum eine Schlacht zu nennen, eher ein 
Schlachten. Die dichten, schwerfälligen Massen wurden zersprengt und auf 
der tollen Flucht zu Tausenden niedergemetzelt. Der König selbst hatte gleich 
bei Einbruch der Verwirrung Tiara und Diadem weggeworfen und war ge- 
flohen; auch Mithridates, dessen Mut und Entschlossenheit eher im Unglück 
sich festigte, rettete sich. Die königlichen Abzeichen des Tigranes kamen in die 
Gewalt des Lucullus. Der Sieg wandelte den Unglückstag der Schlacht von 
Arausio (6. Oktober) in einen Glückstag um. Die Einnahme der Hauptstadt 
lieferte den Soldaten eine Masse Schätze in die Hände, und außerdem empfing 
jeder Einzelne 800 Drachmen Beuteanteil; aber das gierige Soldatenvolk 
murrte darüber, daß ihm nicht alles überlassen wurde. Und Lucullus mußte 
doch die Mittel für den ganzen Krieg selbst erwerben. Auch die strenge Zucht 
des ernsten Befehlshabers sagte den meisten nicht zu. Zuerst weigerte sich 
eine Abteilung, zu ihm zu stoßen; dann, als er in das armenische Hochgebirge 
einrückte und nach einem neuen Siege am Arsaniasflusse (Mural) Tschai) auf 
die alte Hauptstadt Artaxata am Araxes (unweit Eriwan) (68) unter 
schwierigen Verhältnissen weitermarschierte, erzwangen die Meuterer die Rück- 
kehr und betrogen ihn so um den Erfolg seiner Siege und ihrer Anstrengungen. 
Diese Aufgabe des Siegespreises unmittelbar vor dem Ziele steht in der Ge- 
schichte Roms einzig da. Nach der auf dem Rückzüge erfolgenden Eroberung 
von Nisibis kündigten die Soldaten, besonders die zuchtlosen Fimbrianer, deren 
Dienstzeit abgelaufen war, von Lucullus' sittenlosem Schwager P. Clodius 
planmäßig aufgehetzt, dem Feldherrn vollends den Gehorsam. Sein Unter- 
feldherr Triarius erlitt bei Zela (67) eine schwere Niederlage, durch welche 
Mithridates, da das römische Heer unthätig in Kappadokien lag, sein 
Reich wieder eroberte. An Stelle des Lucullus, der sich durch sein Einschreiten 
gegen die Wucherer und Zöllner in der Provinz Asien (70) diese Blutsauger 
zu erbitterten Feinden gemacht hatte und darum in Rom angeschwärzt und 
jetzt zurückgerufen wurde, sollte der Konsul M'. Acilius Glabrio treten, 
der aber vor der Aufgabe zurückscheute und sich in Vorderasien mit Erlaß 
von Edikten beschäftigte. Lucullus triumphierte und lebte dann in behaglicher 
Ruhe seinen Neigungen zu üppigster Ausstattung der Wohnung und Tafel, 
die sein Reichtum ihm gestattete. 
Jetzt ernannte das Volk, trotz der Warnungen vereinzelter republikanischer 
Stimmen im Senate, auf den Antrag des Volkstribunen C. Manilius, für welchen
	        
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