Full text: Vaterländisches Lesebuch für die mehrklassige evangelische Volksschule Norddeutschlands

Schweden in Stockholm und bärtige Nüssen in Petersburg schmausen altländer 
Aepfel, und mit jedem Jahre vermehrt und erweitert sich dieser Handel. 
Es ist nichts Seltenes'/daß. Bauern in. einem Jahre für 7 bis 800 Thaler- 
Obst verkaufen. Mir erzählte ein Landmann, er allein habe oft in einem Jahre 
für 500 Thaler an Kirschen versendet. Getreidebau und Viehzucht ist von ge¬ 
ringerer Bedeutung. Es gedeiht zwar Korn und Rapps auf's trefflichste, doch 
haben die Sämereien sehr von Vögeln zu leiden, die der reiche Baumwuchs an¬ 
lockt. Jeder, der nicht Bauer ist, ist entweder Schiffer oder Obstpflücker. 
Zwischen jenen Obstwaldungen stehen reihenweis an den Wegen die freund¬ 
lichen, bunten Bauernhäuser. Dicht zusammengebaute Dörfer, wie in den Weser¬ 
marschen, hat das Alteland -nicht; man kann, in der Nähe der Häuser bleibend, 
stundenweit wandern, ohne zu merken, wo das eine Dorf endet und das andere 
beginnt. 
Das fremde, von allen Nachbaren verschiedene Element im Altländervolk 
tritt am ersten dem Wanderer an den Wohnungen entgegen. Bei allen Bauern¬ 
häusern der Elb- und Wesermarsch ist, wie in ganz Niedersachsen, das große, 
doppelflüglige Hausthor zum Einführen des Kornes der Straße zugewendet, und 
man nennt diesen Theil deö Hauseö mit seiner Dreschdiele und den Viehställen 
den vordern. 
Beim Altländer, ist es gerade umgekehrt. Hier liegt der Hanpttheil, der die 
Wohnzimmer enthält, an d^r Straße und heißt vorn, während Dreschtenne und 
Ställe von ihr abgekehrt sind. Ein Weg zur Seite des Hauses, der meistens durch 
ein eigenthümliches, bedecktes Thor führt, setzt den Wirthschaftstheil des Gebäudes 
mit der Straße in Verbindung, 
Massive Mauern hat man fast gar nicht. Alles ist Fachwerk, aber auch das 
zierlichste, das man sehen kann. Zuerst fällt das in den Fächern enthaltene Ge¬ 
mäuer in die Augen. Etwas Sorgfältigeres'uud Zierlicheres läßt sich kaum denken. 
Jedes Fach ist so künstlich gemauert, daß es wie buntes Mosaikwerk aussieht; keins 
ist wie das andere, sondern die mannigfaltigste Verschiedenheit herrscht dabei. In 
diesem Fach sind z. B. in einander geschachtelte Quadrate, in jenem Rauten, im 
dritten Zickzackfignren, im vierten Kreuze, im fünften Dreiecke, im sechsten Sterne, 
häufig kommt auch das gemauerte Bild einer Windmühle vor und so geht es, 
nie sich wiederholend, im buntesten Spiel bis in die höchste Giebelspitze. Das 
Ständerwerk, das diese Fächer einrahmt, ist stets mit hellleuchtenden Farben be¬ 
malt, meistens hellgrün und weiß, mitunter auch geschnitzt und dann Blätterwerk, 
Thiergestalten u. s. w. zeigend. In den alten Häusern sieht man noch Bleifenster, 
deren Scheiben allerlei Muster bilden, was mit dem'Ganzen sehr in Einklang 
steht; doch meistens haben sie großscheibigen, neueren Fenstern weichen müssen.' 
Der hervorleuchtendste Theil des Untergeschosses aber ist die stattliche hell¬ 
grüne Thür mit dem großen bunten Prachtfenster darüber. Das ganze Fenster 
besteht aus einem künstlich geschnitzten und reich verschlungenen Blätterwerk, 
dessen Ranken mit den lebhaftesten Farben, wie Grün, Scharlach, Hlan, Weiß 
und Purpurn bemalt und aufs reichste vergoldet sind. In der Mitte, meistens in 
dunkelblauem Felde, steht der goldene Namenszug des Hausbesitzers und darunter 
häufig ein goldenes Pferd.
	        
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