O. In Freud' und Leid — des Herrn allzeit.
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gestern der Branntwein vollends den Verstand geraubt; hat ihm der
Jammer im Hause gestern ans Herz gegriffen und ihn in den Tod ge⸗
ieben? Wer weiß es! Heute liegt er im Flusse, und aus seinem
Häuschen tönt das Klagen der Witwe und das Weinen der verwaisten
Kinder. Doch genug dieser Bilder des Elends!
3. Und die Waffen gegen diesen Feind? Wir kennen zwei:
Mäßigkeit und Enthaltsamkeit. Aber die Mäßigkeit ist nur ein
hölzerner Schild, der bald zerbricht. Alle Trinker haben mit Mäßigkeit
aͤngefangen; aus ‚selten“ wird gar zu leicht „oft“, aus Mäßigkeit Un⸗
maäßigkeit, und Großtuerei macht oft einen Säufer fertig, ehe er es denkt.
Ein junger Bursche will trinken wie ein Mann, und das törichte Lob,
er könne viel vertragen, lautet in den Ohren mancher junger Leute wie:
Er ist ein rechter Kerl. Mancher will mit dem Trinken seine Fröhlichkeit
beflügeln, ein anderer seine Traurigkeit zügeln. „Von Kummer zum
Kümmel ist oft nur ein Schritt.“ Aber der Branntwein und seine Brüder,
Rum, Grog, Wein und Bier, sind gar arge Lügner. Sie halten nur
kurze Zeit Wort und lassen bei übergroßem Genusse der Fröhlichkeit nur
gar zu bald Reue, Scham, Verdruß und vermehrte Traurigkeit folgen.
Wenn der Branntwein, in geringem Maße genossen, dem Handwerker,
Tagelbhner und Bauer bei ihrer schweren Arbeit durchaus nötig wäre,
so würde ich schweigen und still das notwendige Übel beklagen; aber vor
150 Jahren kannte man das Übel noch nicht, und doch arbeitete man
ebensolange und angestrengt wie jetzt. Daraus folgt, das der Branntwein
nicht durchaus nötig sein muß; er wirkt nicht stärkend und wohltätig,
sondern schwächend und verderblich; er täuscht nur eine Zeitlang über die
Kräfte, beschwichtigt nur durch leere Reize den Magen, der nach kräftigender
Speise verlangt. Schiffe, die keinen Branntwein mit an Bord nehmen,
werden in Amerika wohlfeiler versichert als die, auf denen den Seeleuten
Branntwein gegeben wird. Warum? —
Wenn also die Waffe der Mäßigkeit vor diesem Feinde nicht schützt,
so ist dagegen die Enthaltsamkeit ein stählerner Schild. Wer diesen
Schild trägt, d. h. wer gar keinen Branntwein trinkt, der und nur
der ist gefichert vor seinem Gift und Verderben. Darum ist das Wort
des weisen Salomo zu beherzigen: „Sei nicht unter den Säufern und
Schlemmern; denn sie verarmen!“ 5. Weber.
Der „rote Hahn“ mal auf dem Dach ist nicht so schlimm als immer ein
Faß Branntwein im Keller drin.
142. Anlage- und Betriebskapital.
1. Als der junge Mertens von der Ackerbauschule in Badersleben
auf das väterliche Gut zurückkehrte, da fand er daheim so manches,
das wohl der Verbesserung oder besseren Ausnutzung bedürftig war,
und der Vater hatte auch so manche Lehre schon von ihm angenommen.
„Vater,“ fagte er eines Tages wieder, „wir müssen doch daran
denken, die Wasserkraft der Schelde, die so dicht an unserm Hofe vorüber⸗
fließt, endlich einmal nutzbar zu machen. Hinten an der Ecke der langen
Scheune ist sicherlich ein Gefälle von zwei Metern vorhanden, und damit