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und Blättern, die Büsche mit ihren Knospen und Blüten sind
sein Ziel. VWie eine nagende Heerschar zieht er und vein Volk
von Wipfel zu Wipfel, von Busch zu Busch; nicht ein Zweig-
lein bleibt unberührt, nicht ein Blättchen unverseurt. Wo sich
das Volk zu Gaste lädt, da beginnt der Keimchen Sterbezeit,
da ist es mit Frühlingsblüte und Ernte vorbei.
Tag um Tag geht das nun so fort. Nur des Mittags, wenn
die glühenden Sonnenstrahblen fallen, ruht das gefräbige Volk;
dann verstecken sie sich hinter die grünen Blätter und ver-
träumen die heiße Mittagszeit. Dritt rauhes, böses Wetter ein,
dann beschleicht trüber Sinn die sonst s0 beweglichen Leute;
scheu verbergen sie sich vor jedem kalten Luftzuge, vor jedem
schweren Regentropfen, und wie Todesahnung schleicht es in
jede äleine Brust hinein.
Aber das ist alles vorüber, venn die ersten warmen Lũste
wehen. Mieder fliegt der Maikäfer vergnügt und stolz von
Baum zu Baum, wieder hält er ununterbrochene Ernte, wieder
summt er sein Abendlied.
S8o gehen Wochen hin. Von den Bäumen sind Millionen
Blätter verschwunden, abgefallen, dürr und abgenagt. Aber auch
aus der Zahl der Maikäfergenossen fehlen viele, heute mehr
als gestern und morgen noch mehr. Die Fledermaus, das Käuz-
chen und andere Feinde haben die Zahl dünner gemacht; aber
auch sie selbst, die braunen Burschen, sind anders, als sie früher
waren. Schwerfälliger, langsamer geht ihr Flug; dort liegt einer
am Boden und da einer, der die Plügel nimmer rührt.
Ja, fort sind sie alle. Er ist allein und müde. Der feine,
wveibe Flaum an seinem braunen Röckechen ist abgetan, an den
Flügeln abgenutzt und abgerieben; die Schwingen heben sich
schwer und träge. Da sitzt er drauben auf dem Zweige des
Ahornbaums und schaut ins Tal hinaus.
Er hebt die schweren Flügeldecken; noch einen Flug will
er machen und die aufsuchen, die ihn verlassen haben. Er hebt
und senkt die Schwingen, er atmet und reckt und dehnt die
Glieder. Da hinüber zum nächsten Wipfel, vie weit der Weg
ist, — vie weit! Er summt und surrt ganz leise und sinkt
immer tiefer und tiefer hinab. Endlich liegt er still ge-
bettet dort unten am Ahornstamme unter äras und Moos
und Halmen.
NMach Aglaia von Enderes.