216. Der hörnene Siegfried.
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von hartem Stahl, der leuchtete wie der Glanz der Sonne auf den
Meereswellen. Und nun begann wieder der harte Kampf zwischen den
beiden. Laut hallten die Schläge durch den dunklen AVald, und die
Funken stoben aus den Helmen, dass die Finsternis davon erhellt ward.
Aber Siegfried unterlief das lange Schwert des Riesen und hieb ihm
den Panzer in Stücken und brachte dem Unhold sechzehn tiefe Wunden
bei, so dass ihm das Blut vom Leibe troff. Da flehte Kuperan um
sein Leben, und Siegfried sagte: ,,Gern will ich es dir schenken, wenn
du mir schwörst, mir die Jungfrau gewinnen zu helfen.“ Das schwur
der Riese, und so war zwischen beiden Friede gemacht; Siegfried riss
sich selbst sein Untergewand vom Leibe und verband mitleidig seines
Feindes Wunden damit.
4. Wie der Riese wegen seiner Treulosigkeit getötet ward.
Als der siegreiche Held auf den Felsen hinaufeilte, um Kriemhild zn
suchen, nahm der tückische Riese, der hinter ihm herging, die gün¬
stige Gelegenheit wahr und schlug ihn unversehens mit einem Faust¬
schlag/ zu Boden. Da lag der edle Siegfried betäubt unter seinem
Schilde; rotes Blut quoll ihm aus Mund und Nase, und er schien tot
zu sein. Ehe sein Feind ihn aber vollends mordete, sprang schnell
der Zwerg Engel, der immer in der Nähe geblieben war, herbei und
deckte über Siegfried eine Tarnkappe, die die wunderbare Eigenschaft
hatte, jeden, den sie umhüllte, unsichtbar zn machen. Kuperan tobte
vor Wut, dass sein Gegner verschwunden war, aber wie er auch von
Baum zu Baum suchte, er vermochte ihn nicht wiederzufinden.
Inzwischen suchte der gute Zwerg den bewusstlosen Helden wie¬
der zu beleben. Als er die Augen endlich wieder aufschlug und seinen
Retter neben sich sah, sprach er: „Lohne dir Gott, du kleiner Mann,
was du an mir getan hast.“ — „Ja“, erwiderte der Zwerg, „da
hätte es dir schlimm ergehen können. Aber nun folge auch meinem
Rat und gib es auf, die Jungfrau zu befreien.“ — Da sagte Siegfried:
„Nimmermehr! Und wenn ich tausend Leben hätte, so wollte ich sie
alle um die Jungfrau wagen.“
Sobald er sich einigermassen erholt hatte, warf er die Tarnkappe
fort und stürmte von neuem auf den Riesen ein. Wieder schlug er
ihm acht tiefe Wunden, bis er um Gnade flehte. Wohl hätte der
Treulose sie nicht verdient, aber Siegfried bedachte, dass er ohne ihn
nicht an den Drachenstein gelangen könnte, und so schenkte er ihm
abermals das Leben, jetzt aber war er vorsichtiger und liess ihn
vorangehen.
So gelangten sie endlich an den Drachenstein. Ein unterirdischer
Gang führte zu der Tür desselben; der Riese schloss sie auf, und
Siegfried steckte den Schlüssel zu sich. Bald waren sie oben auf dem
Felsen. Der Drache war zum Glück ausgeflogen, die Jungfrau aber
erkannte den Helden und fing vor Freuden an zu weinen und sprach: