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61. Die Helgoländer Bucht.
Auf einer etwas ausführlichen Karte, die entweder die ganze Helgoländer
Bucht oder einen Teil derselben enthält, sieht man hin und wieder bald auf
einer Insel, bald auf einem ins Meer hinausragenden Ausläufer des Landes
ein Flämmchen abgebildet, das mit einem größeren oder kleineren punktierten
Kreise umgeben ist. Die Flämmchen bezeichnen die Leuchttürme, die man der
Schiffahrt wegen erbaut hat; die Kreise aber zeigen die Leuchtweite der ver¬
schiedenen Leuchtfeuer an. Aus Helgoland, das gerade in der Mitte der gleich¬
namigen Bucht liegt, befindet sich ein sehr hoher Leuchtturm, der seinen Licht¬
schimmer in der finsteren Nacht meilenweit über das Meer hinaussendet und mit
seinem Blinken dem Schiffer sagt: „Du bist schon in der Helgoländer Bucht;
nun nimm dich zusammen, daß du die rechte Fahrstraße nicht verfehlst und nicht
Schiffbruch leidest." Ein rechter Schiffer versteht die Sprache der Leuchttürme.
Der Seevogel aber versteht sie nicht. Wohl macht das Licht ihm Freude; er
fliegt auf dasselbe zu und — zerstößt sich den Kopf an den dicken Glasscheiben,
die den Leuchtapparat umgeben. Der kundige Schiffer dagegen blickt, sobald er
das Leuchtfeuer sieht, auf seinen Kompaß und merkt sich den Strich der Wind¬
rose, der gerade auf das Leuchtfeuer hinweist. Mittels seiner genauen Seekarte
und anderer Beobachtungen kann er nun erinitteln, auf welchem Punkte der
Nordsee sich sein Schiff befindet und welchen Weg er einzuschlagen hat, unge¬
fährdet um die Sandbank herumzufahren und an die Mündung des breiten und
tiefen Wattstromes zu gelangen, in welchen er mit der steigenden Flut hinein¬
fahren will. Durch eine besondere Einrichtung der verschiedenen Leuchtfeuer ist
dafür gesorgt, daß der Schiffer nicht das eine Feuer mit dem andern verwechseln
kann. Die verschiedenen Feuer strahlen nämlich ein verschiedenes Licht aus:
einige ein rotes, andere ein gelbes, einige ein einfaches, andere ein doppeltes,
und zwar bald neben-, bald übereinander, wieder andere verschwinden und er¬
scheinen aufs neue in Zwischenräumen von einer oder zwei Minuten u. s. w.
An der Mündung der Wattenstraßen und weiter stromaufwärts schwimmen
hie und da kegelförmig gestaltete Seetonnen, an deren unterem spitzen Ende
eine starke eiserne Kette befestigt ist, die bis auf den Boden des Meeres hinab¬
reicht, wo sie mit eisernen Bügeln an schwere Steine festgeschmiedet ist. Die
Seetonnen haben aber verschiedene Nummern und andere Abzeichen, die ebenfalls
auf den Karten verzeichnet sind und es dem Schiffer möglich machen, zur Zeit
der Flut, wo die Watten verschwunden sind, im rechten Fahrwasser zu bleiben
und nicht aufs Watt oder aus eine Sandbank zu geraten. Andere Hilfsmittel
sind die langen, oben mit einem Strohwisch oder Besen versehenen Stangen, die
an dem der Wattstraße zugekehrten Wattenrande in die Tonmassen hineingesteckt
sind und dem Schiffer sagen, sich rechts oder links von diesen Zeichen zu halten.
Trotz aller Leuchttürme und Seetonnen gerät aber dennoch bei Nacht und
Nebel manches von Sturm und Wozendrang übel zugerichtete Schiff auf eine
Sandbank oder an den Strand. Dann droht jeder Augenblick Tod und Ver¬
derben, und die Mannschaft muß sich dann in den Schisfsbooten zu retten
suchen oder auf die Hilfe der Inselbewohner warten, die in ihren Booten hin¬
ausfahren, die Schiffsleute und womöglich auch die Schiffsgüter zu bergen.
Man hat in neuerer Zeit Rettungsboote angeschafft, die auf den Inseln und
an den gefährlichsten Küstenpunkten immer bereit liegen, Schiffbrüchige zu retten.