29. Die Austern.
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Herzmuscheln bestehen. Die ersteren dienen nicht bloß den Seevögelschwärmen
zur Nahrung, sondern bieten auch den Bewohnern der Küsten und Inseln eine
gesunde und wohlschmeckende Speise; letztere werden nur der Schalen wegen
gesammelt, die, in Schiffen verladen, nach Husum gebracht und in den Kalkösen
Zu Muschelkalk gebrannt werden.
Die wichtigsten unter allen Muschelarten der schleswigschen Westküste sind
die Austern, die auf dem Grunde der Wattenströme oder in andern Tiefen
-an der Küste des Landes ganze Felder oder Bänke bilden, wo sie auf- und
nebeneinander liegen. Es giebt im ganzen 61 Austernbänke zwischen Fand
und Eidersted: 26 bei Fanö, Romö und Silt und 25 bei Föhr, Amrum und
den Halligen. Da die Bänke auf dem Grunde der Tiefe ruhen, können die
Austern nicht wie die kleinen Muscheln auf den Watten gesammelt, sondern
müssen aus dem Wasser herausgefischt werden. Dies ist das Geschäft der
Austernsischer. Das sind in der Regel abgehärtete Menschen, die nicht allein
die Watten und Wattenströine genau kennen, sondern sich auch durch jahrelange
Beobachtung einen solchen Ortssinn angeeignet haben, daß sie sich selbst bei
Nacht und Nebel in dem vielfach verschlungenen Netze der Wattenströme zu¬
rechtfinden können. Boote von Silt und Amrum, jedes mit zwei oder drei
Fischern bemannt, sind in den R-Monaten (September bis April) mit dem
Fang beschäftigt, weil die Austern dann eine fettere und wohlschmeckendere Speise
bieten als in den Sominermonaten. Das Gerät des Austernfischers ist einfach.
Es besteht aus einem Schrapsack oder Strikkerpös, einem aus eisernen Ringlein
bestehenden Netz, dessen Mündung von drei, zu einem gleichseitigen Dreieck mit¬
einander verbundenen, eisernen Stangen eingefaßt ist. Die eine streicht mit
ihrer scharfen Kante die Austern los, während das Ganze, an einem Tau be¬
festigt, hinter dem über die Austernbank hinfahrenden Boote mit fortgeschleppt
und, wenn es voll ist, heraufgezogen, geleert und wieder auf die Bank hinab¬
gelassen wird, um sich abermals zu füllen.
Die Austernbänke sind von der Regierung an eine Gesellschaft verpachtet,
die jedesmal so viele streichen läßt, als versandt werden sollen. Die gestrichenen
Austern werden in Tonnen verpackt und über Husum, Flensburg und Hamburg
weithin versandt.
Nicht alle Bänke sind gleich ergiebig. Einzelne geben jahraus jahrein
reiche Ausbeute, während andere geschont und dadurch verbessert werden müssen,
daß von Zeit zu Zeit auf reicher besetzten Bänken gestrichene oder in den
Bassins bei Husum gezüchtete Austern als Aussaat auf dieselben ausgestreut
werden. Starker Frost und Grundeis schadet ihnen, desgleichen Muschelbänke,
die sich, gleich dem Unkraut auf den Kornfeldern, auf den Bänken einnisten und
wuchern; schönes Sommerwetter, trockene Wärme und Sonnenschein begünstigen
ihre Vermehrung. Seit mehreren Jahren ist von der Regierung eine Schonung
der Bänke angeordnet.
Die Auster ist sehr teuer und kommt daher nur auf den Tisch der Reichen.
In der grauen Vorzeit aber, als die Bewohner unserer Küsten noch nichts vom
Ackerbau wußten und ausschließlich Jagd und Fischerei trieben, war sie schon
«ls Nahrungsmittel allgemein bekannt, wie die in den sogenannten Kehrichthaufen
der Urbevölkerung vorkommenden Schalen zeigen, die man dort neben Knochen
und Feuersteingeräten findet. Jetzt werden die Austern mit einer silbernen