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Der Reichtum der Marsch beruht auf den: Ackerbau und der
Viehzucht.
Während des langen Winters hat die Arbeit im Felde fast
völlig geruht, Sobald aber im April der Frost die Erde verlassen
hat und das überflüssige Wasser durch Gräben, Auen, Flüsse und
schleusen der Nordsee zugeströmt ist, beginnt das pflügen. Vier
bis sechs Pferde sieht man vor den f^flug gespannt, um die Erde
aufzubrechen; und wenn die Saat unter die Erde gebracht ist und
die Schollen durch die Egge in lockere Brocken verwandelt sind,
liegt die Marsch, durch parallele Gräben in lange Streifen zerteilt,
in freundlichem Wechsel von Weide- und Ackerland da, um die
warmen Sonnenstrahlen und den lauen Frühlingsregen aufzunehmen.
Vas Vieh verläßt die Ställe; schwerwandelnde Rinder und stark¬
knochige Pferde beleben die grasreichen Weiden. Das zarte Grün
der jungen Saat hebt sich aus den Furchen, während das dunklere
Winterkorn bereits in üppiger Entwicklung steht. Bald öffnen sich
die goldnen Blütenmassen der Rapsaat, eine besondre Zier des
Marschackers. Die Obstgärten, die fast ausnahmslos so gut die
kleinste bchitte wie den stattlichsten Bauernhof umgeben, prangen im
bunten Blütenkleide. Auch die Ziergärten, die nirgends fehlen, lassen
eine reiche Auswahl von Blumen hervorschießen.
Kommt der Sommer, so streicht der Wind über wogende Saat¬
felder von solcher Üppigkeit, daß fast ein erwachsener Mann in
ihnen verschwindet. Auf den Wiesen ist das saftige Gras wohl zu
zwei Fuß Höhe aufgeschossen; und ist das Wetter dem Mäher günstig,
so wird um Zohannis ein hochbeladenes Fuder Heu nach dem andern
den bergenden Scheuern zugeführt.
Noch reicheren Segen bringt der gerbst. Vom frühesten Tages¬
anbruch an ist das Volk der Schnitter bei der Arbeit. Garbe reiht
sich an Garbe. Oft wird es schwer, die nötigen Kräfte zu finden,
um die Ernte zur rechten Zeit einzuheimsen. An die Ernte schließt
sich sofort das Dreschen, wozu jetzt fast ausnahmslos Maschinen -
oft von Dampfkraft getrieben — benutzt werden. Darauf wird zur
Wintersaat gepflügt. Schon im Oktober ist diese Arbeit in der
Regel beendet. Mit dein Beginn des Novembers bezieht das Vieh
gewöhnlich die Ställe; und nun beginnt für Mensch und Arbeitstier
eine Zeit von fünf-, ja sechsmonatlicher Ruhe, bis der Frühling sie
zu neuer Thätigkeit ruft. Die gewöhnlichen Wege sind während
des Winters grundlos und unfahrbar, es sei denn, daß reichlicher