338
mit entsetzlichem Tosen und Krachen über die langen Salden herab,
wurden immer größer und größer, schossen immer schneller, tosten
und krachten immer fürchterlicher und jagten die Lust vor sich her
so durcheinander, daß im Stunn, noch ehe die Lawine ankam, ganze
lVälder zusammenkrachten und Ställe, Scheuern und Waldungen wie
Spreu davonflogen. Und wo die Lawinen sich in den Thälern
niederstürzten, da wurden stundenlange Strecken mit allen Wohn¬
gebäuden, die darauf standen, und mit allem Lebendigen, was darin
atmete, erdrückt und zerschmettert, wer nicht wie durch ein göttliches
Wunder gerettet wurde.
Tiner von zwei Brüdern in Uri, die miteinander hausten, war
auf dem Dach, das hinten an den Berg stößt, und dachte: „Ich
will den Zwischenraum zwischen dem Berg und dem Dächlein mit
Schnee ausfüllen und alles eben machen, auf daß, wenn die Lawine
kommt, sie über das Häuslein wegfährt, und wir vielleicht," -
und als er sagen wollte: „und wir vielleicht mit dem Leben davon¬
kommen", — da führte ihn der plötzliche Windbraus, der vor der
Lawine hergeht, vom Dach hinweg und hob ihn schwebend in die
Luft wie einen Vogel über einem entsetzlichen Abgrund. Und als
er eben in Gefahr war, in die unermeßliche Tiefe hinabzustürzen,
da streifte die Lawine an ihm vorbei und warf ihn seitwärts an
eine Halde. In der Betäubung umklammerte er noch einen Baum,
an dem er sich festhielt, bis alles vorüber war, und kam glücklich
davon und ging wieder heim zu feinern Bruder, der auch noch lebte,
obgleich der Stall neben dem Häuslein wie mit einem Besen weg¬
gefegt war. Da konnte inan wohl sagen: „Der Herr hat seinen
Tngeln befohlen über dir, daß sie dich auf den fänden tragen.
Denn er macht Sturmwinde zu seinen Boten und die Lawinen, daß
sie seine Befehle ausrichten."
Anders erging es in Sturnen, ebenfalls im Kanton Uri. Nach
dem Abendsegen sagte der Vater zu der Frau und den drei Kindern:
„Wir wollen doch auch noch ein Gebet verrichten für die armen
Leute, die in dieser Nacht in Gefahr sind." Und während sie
beteten, donnerte schon aus allen Thälern der ferne Widerhall der
Lawinen, und während sie noch beteten, stürzten plötzlich der Stall
und das Haus zusammen. Der Vater wurde vom Sturmwind hin¬
weggeführt, hinaus in die fürchterliche Nacht und unten am Berge
abgesetzt und von dem nachwehenden Schnee begraben. Noch lebte
er. Als er aber den andern Morgen mit unmenschlicher Anstrengung