Full text: Lesebuch für ein- und zweiklassige Volksschulen

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4. Gebräuche und Bitten. Streng wird hier die Ehe 
heilig gehalten. Keine ihrer Sitten verdient wohl höheren Ruhm; 
denn fast allein unter allen Barbaren nimmt sich der Germane nur 
ein Weib. Eine Mitgift bringt das Weib nicht dem Manne, sondern 
der Mann dem Weibe. Ettern und Verwandte sind bei der Über¬ 
reichung zugegen und prüfen die Geschenke, — Geschenke, nicht auf 
die weibliche Eitelkeit berechnet, noch zum Putze für die Neuvermählte 
bestimmt, sondern Rinder, ein gezäumtes Roß, eiu Schild mit Lauze 
und Schwert. Gegen diese Gaben empfängt der Germane sein Weib, 
und sie selbst bringt dem Manne ein Waffenstück mit. Höchst selten 
kommt Untreue bei diesem Volke vor. Mehr als anderswo ein gutes 
Gesetz gilt hier die gute Sitte. 
Geselligkeit und Gastfreundschaft liebt kein Volk in ausgedehn¬ 
terem Maße. Einem Menschen das schützende Obdach zu verweigern, 
hält es für Sünde. Nach Vermögen bewirtet den Fremden ein jeder. 
Ist der Vorrat zu Ende gegangen, so wird der Wirt zum Wegweiser 
nach einem andern gastlichen Hause und zum Begleiter. Ungeladen 
betreten sie den nächsten Hof. Kein Unterschied wird zwischen ihnen 
gemacht. Den gleichen freundlichen Empfang finden beide. Ob der 
Gast bekannt, ob er unbekannt ist, das Gastrecht fragt nicht danach. 
Beim Abschied ist's Brauch, dem Gast zu bewilligen, was er etwa 
begehrt. Ebenso unbedenklich ist eine Gegenforderung. Der Germane 
hat Gefallen an dergleichen Geschenken: aber was er giebt, rechnet er 
nicht an, und es verpflichtet ihn nicht, was er erhält. — Bei keiner 
Angelegenheit, einer öffentlichen oder eignen, erscheint der Germane 
ohne Wehr und Waffen. Doch keinem gestattet die Sitte, früher die 
Waffen zu führen, als bis die Gemeinde ihn für waffenfähig erklärt. 
Bis dahin erschien er als Glied der Familie, von nun an gehört er 
dem Staate. — Von den Knechten sitzt jeder auf seinem Hofe, am 
eignen Herde. Eine bestimmte Menge von Getreide oder Vieh oder 
Gewänder fordert der Herr von ihm; hierauf allein beschränkt sich die 
Pflicht des unfreien Mannes. Den Unfreien zu züchtigen oder in 
Fesseln zu legen, kommt selten vor; häusiger wird er im Jähzorn 
getötet, ohne daß eine Buße darauf steht. 
Beim Leichenbegängnis überbietet man sich nicht mit eitlem 
Prunk. Nur dies allein verlangt des Landes Brauch, daß die Leichen 
bedeutender Männer mit einer bestimmten Holzart verbrannt werden. 
Der Holzstoß wird nicht mit Teppichen oder Räncherwerk bedeckt. 
Nur die Waffen folgen allen, einigen auch das Streitroß in die Flammen.
	        
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