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2. Und den Fluß hinauf, hinunter ziehn die Schatten tapfrer Goten,
die den Alarich beweinen, ihres Volkes besten Toten.
3. Allzu früh und fern der Heimat mußten hier sie ihn begraben,
während noch die Jugendlocken feine Schulter blond umgaben.
4. Und am Ufer des Busento reihten sie sich um die Wette;
um die Strömung abzuleiten, gruben sie ein frisches Bette.
5. In der wogenleeren Höhlung wühlten sie empor die Erde,
senkten tief hinein den Leichnam, mit der Rüstung, auf dem Pferde;
6. deckten dann mit Erde wieder ihn und seine stolze Habe,
daß die hohen Stromgewächse wüchsen aus dem Heldengrabe.
7. Abgelenkt zum zweitenmale ward der Fluß herbeigezogen;
mächtig in ihr altes Bette schäumten die Busentowogen.
8. Und es sang ein Chor von Männern: „Schlaf in deinen Heldenehren!
Keines Römers schnöde Habsucht soll dir je das Grab versehren!"
9. SangeRs, und die Lobgesänge tönten fort im Gotenheere.
Wälze sie, Busentowelle, wälze sie von Meer zu Meere!
Graf v. Platen.
232. Gudrun.
I.
Gudruns Verlobung.
Im Hegelingenlande an der deutschen Nordseeküste herrschte
in alten Zeiten der mächtige König Hettel. Ihm und seiner Ge¬
mahlin Hilde erblühten zwei Kinder: Gudrun und Ortwin.
Gudrun war von wunderbarer Schönheit; aber sie wusste es nicht,
weil niemand ihr davon sagte. Sie schaute mit ihren blauen Augen
fröhlich in die Welt hinein und erwuchs zu einer blühenden, an¬
mutigen Jungfrau, die jedermann gern hatte. Dabei war sie so stark,
«dass sie ein Schwert tragen konnt’, als wäre sie ein Ritter“.
Der Ruf von ihrer Schönheit und ihren herrlichen Tugenden
drang in alle Lande. Viele Freier warben um sie, wurden aber
schnöde abgewiesen, weil Hettel sich nicht von seiner lieblichen
Tochter trennen wollte. Unter den Abgewiesenen waren auch die
drei Könige Siegfried von Moorland, Hartmut von der Normandie
und Herwig von Seeland. Letzterer wollte sich nun die herr¬
liche Königsmaid mit Gewalt ertrotzen und rückte mit 3000 Mann