Full text: Lesebuch für ein- und zweiklassige Volksschulen

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vor Hettels Burg. Gudrun stand am Fenster und schaute dem 
grimmen Kampfe zu. Als sie die tapfern Thaten des Heldenjüng¬ 
lings sah, zog die Liebe in ihr Herz ein; sie bewog ihren Vater, 
dem Kampfe Einhalt zu thun und Herwig in die Burg kommen zu 
lassen. Der wackere Jüngling gewann durch seinen edlen Anstand 
vollends Gudruns Herz, und die Eltern willigten in die Verlobung, 
die am nächsten Tage fröhlich gefeiert wurde. 
II. 
Gudruns Entführung. 
Das Glück der Verlobten war aber nur von kurzer Dauer. 
Der abgewiesene Siegfried von Moorland war zornig in Herwigs 
Land eingefallen und wütete darin mit Mord und Brand. Herwig 
musste heimeilen, sein Land zu schützen. Auch Hettel zog mit 
seinen Mannen dem Eidam zu Hilfe. Während so das Hegelingen¬ 
land von Verteidigern entblöfst war, kam der listige König Ludwig 
von der Normandie mit einem starken Heere, um die schöne 
Gudrun für seinen Sohn Hartmut zu gewinnen. Da Gudrun nicht 
freiwillig folgen wollte, führte er sie samt 62 Jungfrauen gefangen 
hinweg. 
Die Königin Hilde sandte sofort Boten mit der Unglücksmär 
an Hettel und Herwig. Beide schlossen sogleich mit Siegfried Frieden 
und Freundschaft; dann brachen sie vereint zur Verfolgung der Räuber 
auf und erreichten sie auf dem Wülpensande, einer Insel an der 
Scheldemündung. Es kam zu einer furchtbaren Schlacht, die bis 
in die sinkende Nacht dauerte. Das Wasser rötete sich von dem 
Blut der Erschlagenen. Hettel fiel durch Ludwigs Hand. Aber 
obgleich die Hegelingen durch den Tod ihres geliebten Königs 
zur grössten Tapferkeit entflammt wurden, konnten sie doch die 
geraubten Jungfrauen nicht befreien. Im Dunkel der Nacht bestiegen 
die Normannen ihre Schiffe und entwichen mit ihrer Beute. Traurig 
mussten die Hegelingen umkehren und die Rache auf spätere Zeiten 
verschieben, weil die meisten Helden in dem blutigen Kampfe ge¬ 
fallen waren. 
Mit günstigem Winde segelten inzwischen die Normannen ihrer 
Heimat zu. Als die Burgen des Normannenlandes am Seegestade 
auftauchten, trat König Ludwig zu der trauernden Gudrun, zeigte 
ihr die Herrlichkeit seiner Länder und bot ihr die Königskrone an, 
wenn sie sich mit seinem Sohne Hartmut vermählen wolle. Aber
	        
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