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Da ließ er in der Nähe des Bauplatzes eine große Tafel mit den
Worten Gellerts anbringen: „Lebe, wie du, wenn du stirbst, wünschen
wirst, gelebt zu haben." Zu seiner Freude blieben diese Worte nicht
ohne Einfluß ans die rohen Gemüter. Einer nach dem anderen ging
in sich, und ein besserer Geist brach sich Bahn.
Die Worte: „Ehre Vater und Mutter mit der That, mit Worten
und Geduld, auf daß ihr Segen über dich komme", waren tief in
Gellerts Herz eingeschrieben. Es war ihm ein Vergnügen, nach bestem
Vermögen zur Bequemlichkeit und Zufriedenheit seiner alten Mntter
beizutragen.
Das ganze Vaterland trauerte, als es die Kunde erhielt: Gellert
ist tot. Die Gebeine des Würdigen ruhen in der Johanniskirche in
Nach Franz Otto.
13. Johann Friedrich Oberlin.
Oberlin, das Musterbild eines gemeinnützig wirkenden Geist¬
lichen, ist am 31. August 1740 geboren. Sein Yater war Pro¬
fessor in Strassburg. Schon als Knabe bewies er stillen Ernst und
frommen Sinn; daher wurde er für den geistlichen Stand bestimmt.
Mit Lust und Liebe gab er sich dem Studium der Theologie in
seiner Vaterstadt hin und hielt sich fern von allen zerstreuenden
weltlichen Genüssen. In seinem 27. Lebensjahre wurde er vom
evangelischen Konsistorium in Strassburg zum Pfarrer der Gemeinde
Waldersbach im sogenannten Steinthal ernannt. Einige Dörfer mit
etlichen Höfen des letzteren bildeten eine Grafschaft. Diese Orte
befanden sich zur Zeit der Anstellung Oberlins in dem Zustande einer
äusseren und inneren Verwahrlosung, ln Bezug auf Lage, Bodenart
und Witterungverhältnisse gehört das Steinthal zu den am wenigsten
begünstigten Strichen des Eisass. Etwa 12—14 Stunden von Strass¬
burg entfernt, war es von jedem Verkehr abgeschlossen. Da das
Thal in nordöstlicher Richtung sich hinzieht, hat es ein rauhes
Klima; dazu war der Boden steinig und lohnte kaum der Bewirt¬
schaftung. Das Land lag daher zum grössten Teile brach. Not
und Armut herrschten allgemein; Gewerbe, Handel und Verkehr
gab es nicht. Bei solcher Sachlage ist es nicht zu verwundern,
dass die Leute auf einem sehr tiefen Standpunkt der Bildung und
Gesittung standen. Der junge Oberlin war hier auf ein Arbeitsfeld
gestellt, wo ihm alles zu thun übrig blieb. Er griff sein schweres
Werk mit Mut und Zuversicht an, beschränkte sich aber nicht auf
die seelsorgerliche Thätigkeit durch Kanzelvorträge und Hausbesuche,
sondern wagte sich auch auf das Gebiet der Landwirtschaft. Seine
Besoldung bestand hauptsächlich in den Erträgen eines Pfarrgutes.
Oberlin bewirtschaftete dasselbe mit seinen Leuten mustergültig.
Wenn nun zur Zeit der Aussaat oder noch mehr der Ernte das
Pfarrland schön, sauber und ergiebig war, dann machten die Bauern
grosse Augen und schämten sich vor ihrem Pfarrer. Hätten sie
nicht die unablässigen Mahnungen ihres Pfarrers bestimmt, ihm