Full text: Lesebuch für Fortbildungsschulen und verwandte Anstalten in Elsaß-Lothringen

7 
— 110 — 
Statten wir nun selbst der Arbetterstadt einen Besuch ab! In der 
Nähe des Rhein-Nhonc-Kanals, zwischen dem alten Mülhausen und 
Darnach, breitet sie sich aus. Schnurgerade Straßen, in doppelter Reihe 
mit prächtigen Lindenbäumen bepflanzt, durchschneiden sie. Zu beiden 
Seiten liegen inmitten reichem Grün von Baumgruppcn und Gärten 
schmucke, kleine Häuser. Es ist eine eigenartige Verschmelzung von Stadt 
und Land, diese merkwürdige Arbeiterstadt, und ihr Anblick wahrhaft herz¬ 
erquickend nach dem Eindruck, den die Fabriken mit ihrem Maschinen¬ 
getöse und die meist engen, düstern Gassen des eigentlichen Mülhausen 
auf uns machen. 
Die Arbeiterstadt gliedert sich in die sog. „alte" und in die „neue" 
Stadt. Im erstgenannten Teile sind die einzelnen einstöckigen Häuser in 
Gruppen von 10—20 unter einem langen Dache zu ausgedehnten Straßen¬ 
zeilen vereinigt. Die „neue" Stadt dagegen enthält immer nur 4, teils 
blos mit Erdgeschoß, teils mit einem obern Stockwerk versehene Häuser 
unter dem gleichen Dache, und zwar inmitten eines für die verschiedenen 
Bewohner in einzelne Abschnitte gegliederten Gartens liegend. Jedes ein¬ 
zelne Gärtchen hat ein kleines Gartenhaus oder eine Lande und bringt 
dem Besitzer an Gemüse und Obst jährlich 30 bis 40 Jt ein. Ja, manche 
Arbeiterfrauen, die sich der Bebauung ihrer Gartenflecke mit besonderem 
Eifer und Geschick annehmen, treiben mit den Erzeugnissen derselben einen 
kleinen Handel. 
Diese kleinen Güter sind zum weitaus größten Teile Eigentum ihrer 
Bewohner. Die Zahlungsbedingungen sind sehr günstig und bestehn in 
mäßigen monatlichen Abzahlungen, die sich auf eine lange Frist verteilen. 
Sollte der Arbeiter sterben, bevor es ihm möglich ist, die sämtlichen Teil¬ 
zahlungen zu leisten, oder sich anderswo niederzulassen wünschen, so betrachtet 
die Gesellschaft den Käufer einfach als Mieter und gibt ihm oder seiner 
Familie den Überschuß aller seiner Einzahlungen nebst Zinsen zurück. Die 
durch die Arbeiter mittels kleiner Teilzahlungen erworbenen Wohnungen 
stellen ein Ersparnis von mindestens 4 Millionen dar! Gewiß, kein 
schlechtes Zeugnis für den Sparsinn dieser braven Arbeiter! 
Um die Arbeiterklasse noch mehr zur Sparsamkeit anzuregen und ihr 
den Erwerb eines Eigentums zu erleichtern, hat die Hochherzigkeit eines 
Mülhauser Bürgers eine schöne Stiftung ins Leben gerufen. 1885 stellte 
der ehemalige Notar Salathe der industriellen Gesellschaft eine Jahrsrente 
von 960 A zur Verfügung mit der Bestimmung, diese Summe alljährlich 
in 3 gleichen Teilen an sparsame, würdige Arbeiter zu vergeben als Bei¬ 
hilfe zum Erwerb eines eigenen Heims. Die Verteilung geschieht nach 
gewissen Bedingungen durch eine Kommission, bestehend aus dem jeweiligen 
Präsidenten der industriellen Gesellschaft, 5 Mitgliedern derselben und 5 Werk- 
Mrern oder Arbeitern. 
Diesem Werk edler Menschenfreundlichkeit reiht sich würdig die ..Lalancc-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.