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342. Von der Verfassung des deutschen Reichs.
Das Reich ist gegründet zum Schutze des Reichsgebiets und zur Pflege
der Wohlfahrt des gesamten deutschen Volks. Die hieraus sich ergebenden
gemeinschaftlichen Aufgaben, deren Erfüllung dein deutschen Reiche zusteht,
sind in der Reichsverfassung genau bezeichnet. Die wichtigsten Bestim¬
mungen sind:
Die sämtlichen (26) nord- und süddeutschen Staaten schließen einen
ewigen Bund zum Schutze des Bnndsgcbiets und des innerhalb des¬
selben gültigen Rechts, sowie zur Pflege der Wohlfahrt des deutschen Volks.
Dieser Bund führt den Namen „Deutsches Reich".
Für ganz Deutschland besteht ein gemeinsames Jndigenat (Reichs¬
bürgerrecht) mit der Wirkung, daß der Angehörige eines jeden Bnndsstaats
in jedem andern als Inländer zu behandeln und demgemäß zum festen
Wohnsitz, zum Gewerbebetrieb, zu öffentlichen Ämtern u. s. w. wie der Ein¬
heimische zuzulassen ist. Auch haben alle Deutschen gleichmäßig Anspruch
auf den Schutz des Reichs dem Ausland gegenüber.
Der Aufsicht und gesetzlichen Regelung seitens des Reichs
unterliegen höchst wichtige Angelegenheiten, wie Heimats- und Niedcr-
lassungswcscn, Gewerbebetrieb, Zollwcscn, Maß-, Münz- und Gewichts¬
system, Post- und Telegraphenwescn, Schutz des deutschen Handels im Aus-
lande, Militär und Kriegsmarine, bürgerliches Recht, Strafrecht, Gerichts¬
verfahren u. s. w. In Bayern und Württemberg ist die Tätigkeit des
Reichs in einzelnen Beziehungen, z. B. im Postwesen, beschränkt.
Die Reichsgesetzgebung wird durch Bundsrat und Reichstag
ausgeübt. Die Reichsgesetze gehn den Landsgesetzen vor. Der Bunds-
rat besteht ans Vertretern der einzelnen Bnndsstaaten. Alle zusammen
haben 58 Stimmen, nämlich Preußen 17, Bayern 6, Sachsen und Württem¬
berg je 4, Baden und Hessen je 3, Braunschweig unb Mecklenburg-Schwerin
je 2 und die übrigen Staaten je 1. Elsaß-Lothringen hat nur beratende
Stimme. Jedes Mitglied des Bundsrat hat das Recht, im Reichstage zu
erscheinen und muß daselbst ans Verlangen jederzeit gehört werden, um die
Ansichten seiner Regierung zu vertreten.
Der Vorsitz des Bunds steht dem König von Preußen zu,
welcher den Namen „Deutscher Kaiser" führt. Er hat das Reich nach
außen zu vertreten, im Namen des Reichs Krieg zu erklären und Frieden
zu schließen, Bündnisse und andre Verträge mit fremden Staaten einzugehn,
Gesandte zu beglaubigen und zu empfangen. Zur Erklärung des Kriegs ist
die Zustimmung des Bundsrats erforderlich, cs sei denn, daß ein Angriff
ans das Bnndsgebiet erfolgt. Dem Kaiser steht cs zu, den Bundsrat und
den Reichstag zu berufen, zu eröffnen, zu vertagen und zu schließen. Der
Vorsitz im Bnndsrate und die Leitung der Geschäfte steht dem Reichskanzler
zu, der vom Kaiser ernannt wird. Dem Kaiser obliegt die Ausfertigung