Full text: [Teil 3 = Klasse 7, [Schülerband]] (Teil 3 = Klasse 7, [Schülerband])

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72. Jcb bin der Jüngere. 
Julius Lohmeyers Deutsche Jugend. Neue Folge. 6. Band. Berlin o. J. 8. 26. 
3U der Kaiserparade, die in den Septembertagen des Jahres 1885 
in Württemberg stattfand, waren natürlich die Landleute von nah 
und fern gekommen. Alt und jung wollte so gern das Angesicht 
des geliebten kaiserlichen Herrn sehen. Unter diesen Getreuen befand sich 
auch ein Veteran von dreiundneunzig Jahren, der sich einst in den 
Freiheitskriegen das Eiserne Kreuz erkämpft hatte. Auch er wollte seinen 
obersten Kriegsherrn sehen. 
Getreue Freunde hoben ihn auf einen Wagen, und nun ging es 
vorwärts. Auch der Kaiser kam im Wagen gefahren, und sein Auge 
erblickte den Mann, der das Kreuz aus den Befreiungskriegen trug. 
Er ließ halten, und unser Veteran wollte nun, so schnell als seine alten 
Glieder erlaubten, aus seinem Wagen steigen, um seinen Kaiser zu 
begrüßen. Der aber rief ihm zu: „Bleiben Sie sitzen! Ich bin der 
Jüngere und kann zu Ihnen kommen." Das sprach der achtundachtzig- 
jährige Kaiser von Deutschland. Und er tat es auch, stieg aus und 
ging zu dem Manne, der voll Freude, Ehrfurcht und Staunen in die 
Worte ausbrach: „Nun ist das Maß meines Lebens voll, da ich meinen 
Kaiser gesehen habe." Der aber winkte ab und meinte, das sei noch 
lange nicht nötig, obgleich sie beide unter den vielen Tausenden hier 
wohl die einzigen seien, die das Eiserne Kreuz von 1813 trügen. „Aller¬ 
dings," fügte Kaiser Wilhelm hinzu, indem er dem Alten herzlich die 
Hand schüttelte, „werden wir uns wohl auf Erden nicht wiedersehen." 
73. Kaiser Milbelm in Galtein. von emii frommei. 
Daheimkalender für das Jahr 1889. Bielefeld u. Leipzig. 8. 289. 
iTYrie teilnehmend und zartfühlend der Kaiser war, davon haben viele 
die leuchtendsten Beweise erfahren, unter andern auch ein kranker 
Badegast. Noch ehe das Badeschloß in Gastein zum Hotel eingerichtet 
war, wohnten unten die Badegäste, während oben der Kaiser die Zimmer 
innehatte. Da gab's, wie so manchmal, einen Tag, an welchem es mit 
Kübeln goß, so daß an ein Ausgehen nicht zu denken war. Und doch 
sollte der hohe Herr sich Bewegung machen. Da benutzte er die ganze 
Flucht von Zimmern zum Auf- und Abgehen. Als der Kammerdiener 
ihn nicht mehr promenieren hörte, ging er hinein, etwas zu bringen. Aber 
wie fand er seinen Herrn? Einen Bodenteppich auf den andern legend im 
Schweiße des Angesichts. „Aber, Majestät, was tun Sie da, warum 
lassen Sie mich das nicht tun?" Lächelnd sagte der Kaiser: „Ja, das 
hab' ich mal selber gemacht. Da unten ist ein schwerkranker Badegast, 
der zu Bett liegt und wenig schlafen kann. Wenn ich nun da oben
	        
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