Full text: Deutsches Lese- und Sprachbuch für die Oberstufen der Volks- und Bürgerschulen (Abt. 3)

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die Noth versöhnt! schon jetzt hat er Vertrauen zu uns gefaßt, viel¬ 
leicht wird er bald uns herzlich lieben, wenn wir ihm freundlich begegnen. 
Kopfschüttelnd geht der Jäger, und alsbald tritt in das nur spär¬ 
lich erhellte Zimmer eine lange Gestalt ein, vor der du wohl mit Grauen 
und Entsetzen zurückbeben würdest, begegnetest du ihr im einsamen Walde, 
und hättest nicht in deiner Brust ein Herz voll echten Christenmuthes 
und wahrer Jesusliebe. Lange schwarze Haare verbargen in wilder 
Verwirrung fast gänzlich des Mannes tief gerunzelte Stirn, die Wangen 
sind bleich und abgezehrt, das Roth der Lippen ist erstorben, und der 
Blick aus schwarzen, hohlen Augen schweift bald unstät und mißtrauisch 
im Zimmer umher, bald gleitet er funkelnd an dem Wirthe vorüber, 
bald heftet er sich starr und matt an den Boden. Die Kniee wanken, 
die Brust keucht vom angestrengten Laufe. Entschuldigungen unverständ¬ 
lich murmelnd, streckt der Müller seine dürren Hände dem Wirthe dar, 
und dieser — wenn gleich aufs höchste betroffen — weicht doch nicht 
zurück; getrost schlägt er ein und erwidert den krampfhaften Druck des 
Gastes mit Milde und Freundlichkeit. Kein Wort von vergangenen 
Zeiten. Mit liebreicher Theilnahme und frommem Sinne spricht der 
Förster über die gegenwärtige Bedrängniß, düster und abgebrochen nur 
antwortet der Müller. Unterdessen hat die emsige Hausfrau in Eile 
ein erquickendes Nachtessen ausgetragen, ein Bett herbeigeschafft und mit 
saubrer Wäsche bekleidet; und als sie nun Alles zur Labung des neuen 
Hausgenossen bereitet, wünscht sie ihm eine sanfte Ruhe und geht mit 
ihrem Gatten in die anstoßende Kammer zu den schlafenden Kleinen. 
Hier, in andachtsvollem Gebete vereinigt, danken sie Gott für den 
Segen des Tages, befehlen seiner gnädigen Obhut sich und die Ihrigen 
und erflehen Labung und himmlischen Frieden für des Millers zer¬ 
rüttetes Gemüth. Alsbald umfängt sie ein sanfter Schlaf. 
Nur wenige Stunden erst hatten sie geschlummert, da weckte sie 
ein heftiges Pochen an der Kammerthür. „Der Müller ist — so ruft 
ein Jägerbursche herein — von der gräßlichen Cholera befallen. — Er¬ 
laubt , Herr, daß wir ihn eiligst hinausschaffen, damit nicht auch Ihr 
mit Weib und Kindern verderbt!" 
„Mit nichten! da sei Gott vor!" erwiderte schnell entschlossen der 
Förster. „Wartet des Kranken, wie ich euch gelehrt; gleich bin ich 
selbst da!" 
Und jo nimmt er die Kinder vom Lager, trägt sie hinauf in die 
Bodenkammer und eilet hinab zu dem Kranken. Bald folgt ihm die 
Gattin. Aber welch entsetzlicher, herzzerreißender Anblick bietet sich hier 
dar! Von den heftigsten Krämpfen gefoltert, windet und wälzt sich der 
Müller aus seinem Lager, schon verräth sein ganzer Leib alle gräßlichen 
Zeichen der furchtbar zerstörenden Krankheit. Indeß noch ein anderer 
Schmerz, noch ein gewaltsamerer Kampf scheint in der Brust des Mannes 
zu sein. Denn je mehr der Förster und seine Gattin in emsiger Liebe 
um ihn bemüht sind, desto heftiger bebt er vor ihrem Anblick zurück. 
Bald birgt er sein Gesicht in die Kissen, bald schlägt er mit geballten
	        
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