216. Der hörnene Siegfried. 149
er sie mit in eine kleine Höhle hinein, in welche der Drache ihnen
nicht folgen konnte. Hier erblickte er einen unendlichen Schatz von
Gold und Edelgestein; es war der Hort des unterirdischen Zwergen¬
volkes, der Nibelungen, welche vor dem Getöse des Kampfes ängst¬
lich geflohen waren; Siegfried aber meinte, dass es der Schatz des
Drachen sei.
Nach einiger Zeit, als er sich erholt hatte, ergriff er wieder sein
Schwert und begann den Kampf von neuem. Die Glut der blauen
und roten Flammen, die das Untier gegen ihn spie, brachte ihn wieder
in grosse Not; er musste auf die Seite springen, aber nun versuchte
das Ungeheuer mit seinem Schwänze ihn zu umringeln, und nur mit
genauer Not entging er diesen Umarmungen. Von den wiederholten
Schlägen aber und von der gewaltigen Hitze begann allmählich die
Hornhaut des Drachen weich zu werden; als Siegfried das merkte,
nahm er alle seine Kraft zusammen und führte einen so gewaltigen
Hieb auf das Tier, dass er es von oben bis unten mitten hindurch
spaltete und die eine Hälfte vom Rande des Felsens in die Tiefe sank.
6. Wie Siegfried und Kriemkild heimkehrten,
So war Kriemhild gerettet, und freudenvoll eilte sie auf ihren Befreier
zu. Aber der war von der ungeheuren Anstrengung bis zum Tode
erschöpft; ohnmächtig sank er zusammen, und lange lag er bewusstlos
da. Darüber erschrak Kriemhild so, dass auch ihr die Sinne vergingen
und sie wie eine Tote neben dem Helden lag. Endlich nach langer
Zeit schlug Siegfried die Augen auf; als er aber die Jungfrau wie tot
neben sich sah, brach er in laute Klagen aus und rief: „0 weh mir,
dass ich dies erleben soll! Die ich in Freuden ihrem Vater wieder
heimfuhren wollte, die muss ich nun tot ihm bringen? Des werd’ ich
ewig klagen müssen."
Das hörte der Zwerg Engel, der sich inzwischen, wie es stille
auf dem Felsen geworden war, wieder hervorgewagt hatte. Schnell
kam er herbei und sagte: „Sei nur getrost! ich will der Jungfrau ein
Kraut eingeben, dass sie bald wieder gesund wird.“ So that er, und
alsbald schlug sie die Augen wieder auf. Da fiel sie freudenvoll ihrem
Retter Siegfried um den Hals und küsste ihn auf den Mund. Engel
aber sprach: „Du hast uns Zwerge von dem bösen Riesen, dem wir
dienen mussten, befreit; dafür wollen wir nun auch dir dienen und dir
hellen, wo wir können." Danach führte er Siegfried und Kriemhild
in seine Wohnung, und hier erholten sie sich bei köstlichen Speisen
und Getränken vollends von den überstandenen Mühen und Ängsten.
Dann nahmen sie Abschied von dem guten Zwerg, um gen Worms
zu reiten; denn sein treues Ross fand Siegfried noch unten am Fusse
des Berges.
Als sie aber eine kurze Strecke geritten waren, fiel Siegfried
ein, dass der Schatz, den er im Berge gesehen hatte, ihm als dem
Besieger des Drachen gehöre, denn er wusste ja nicht, dass es der