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B. Die Kriegsschauplätze in Europa und Vorderasien.
In vielen Kriegen sind diese Durchgangslandschaften der Schauplatz entscheidender Schlachten
gewesen. Am 19. Januar 1871 wurde hier die französische Nordarmee bei ihrem letzten Versuch,
gegen Paris vorzudringen, in der Nähe von St. Qu entin vollständig geschlagen und zerstreut. Am
27. und 30. August 1914 erzwangen von Kluck uud von Bülow bei derselben Stadt durch siegreiche
Kämpfe gegen französische und englische Truppen den Zugang zum Pariser Becken.
Stellung-- Die nach den Herbstkämpfen des Jahres 1914 entstandene Stelluugslinie durchzieht die
imie. bisher betrachteten Landschaften im allgemeinen in nordsüdlicher Richtung. Sie beginnt an der
Nordseeküste unmittelbar nördlich von Nieuport, zieht an der kanalisierten Yser und am Dpern-
kanal hin, überschreitet diesen unweit südlich Ypern und quert die französische Grenze bei Armen-
tieres. Frauzösisch-Flandern durchläuft sie in nordsüdlicher Richtung westlich von Lille und Leus;
sie erreicht das Hochland von Artois an der Lorettohöhe, durchzieht dieses in einem flachen,
nach 0 offenen Bogen zwischen Arras und Peronne, überschreitet unweit östlich dieses Ortes die
Somme und durchzieht in einem gleichen Bogen die östliche Picardie, um südlich von Noyon
die Oise und damit den Rand des Pariser Beckens zu erreichen.
2. Pariser Becken. — Champagne. — Lothringen.
Pariser Östlich von der Oise tritt die Kampffront ein nach Ostfrankreich. Kamen im eben
Becken: geschilderten Abschnitt des Kriegsschauplatzes Vorteile und Nachteile des Geländes bei beiden
Stufenba». ©egnem |n gleicher Weise zur Wirkung, so treten wir jetzt in ein Gebiet ein, das für eine
Verteidigung weit günstigere Bedingungen bietet als für einen Angriff aus Osten oder Norden.
Ganz Ostfrankreich hat die Gestalt eines halbkreisförmigen, nach dem Mittelpunkt Paris
allseitig sich neigenden, stark gegliederten Beckens. Dieses halbe Becken zeigt nur im Süden,
in der Landschaft Beauce uud Brie einförmige Hochebenen, sonst allenthalben anmutiges,
abwechslungsreiches Hügelland. Im 0 und NO aber erhält die Landschaft ein besonders
eigenartiges Gepräge durch eine Anzahl scharf ausgeprägter Stufen, Falaifes oder Es-
carpements, wie die französischen Geographen sie nennen. Nicht weniger als fünf solcher
Steilränder lassen sich unterscheiden. Sie durchziehen als große konzentrische, nach W offene
Bogen in verschiedenen Abständen von dem Mittelpunkt Paris das Gelände zwischen der
Nonne und oberen Seine im 3 und der Oise im N und entsprechen dem inneren Bau des
Pariser Beckens. Wie immer kleiner werdende, flache Schüsseln liegen hier die geologischen
Schichten ineinander, so also, daß wir, vom Inneren des Beckens nach seinem Rande schrei-
tend, auf immer ältere Gesteine treffen. Da, wo die ältere Schicht unter der jüngeren her-
vortritt, setzt diese fast immer mit einer Steilstufe ab. Die einzelnen Schichtringe haben
demgemäß eine allmähliche Neigung nach innen und einen schroffen Steilabfall nach außen.
Erwägt man weiter, daß die Ränder dieser Steilstufen keineswegs glatt verlaufen, sondern
durch das fließende Wasser vielfach zerteilt und zerfranst werden, so daß zwischen einschnei-
denden Buchten halbinselförmige Vorsprünge sich bilden, die gleich natürlichen Bastionen
in das tiefer gelegene Land sich vorbauen, und daß vor dem Steilrande der eigentlichen Hoch-
fläche abgetrennte Plateaustücke als Borberge oder „Ausleger" liegen, so erhellt ohne
weiteres das hohe Maß günstiger Bedingungen, die derartige Geländeformen für die Landes-
Verteidigung bieten.
Flußnetz. Diese Vorteile werden noch wesentlich erhöht und verstärkt durch die eigenartige Aus-
bildung des Flußnetzes innerhalb jener Stufenlandschaft. Die Karte zeigt, daß die rand-
lichen östlichen Teile dieses Beckens, die Landschaften Französisch-und Deutsch-Lothringens,
ihre Gewässer aus dem Beckeu hinaussenden, und zwar in der Richtung von 3 nach N, so daß
sie entweder an den einzelne:: Bogenstücken tangential entlang laufen oder sie als Sekanten
schneiden. Damit bilden aber die Saar und die Nied, die Mosel, die Seilte und die
' Meurthe, die Maas, die obere Seine und Aube, die obere Marne und der Ornain, die
obere Aisne und Aire ebenso viele, durch die Verbindung mit den benachbarten Steil-
rändern überaus wirksame Verteidigungsstellungen gegen einen von 0 kommenden Angriff.
Die Flüsse westlich der Maas aber vollziehen innerhalb der östlichen Champagne eine
charakteristische Umbiegnng aus der Südnordrichtung, indem sie sich nunmehr den Steilrändern