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geborgene Heu wird in Diemen zusammengehäuft, über die ein Flechtwerk
von Stroh, an beiden Enden mit Steinen belastet, herabhängt, wodurch sie
eine solche Festigkeit gewinnen, daß nur mit eisernen Spaten das zum
jedesmaligen Gebrauch Nötige abgestochen werden kann, und diese Heuberge
an der Seite des Hauses oft noch eine Zuflucht geben, wenn die Mauern
von der Gewalt der Wellen niederbrechen. Auf künstliche Erderhöhungen
oder Werften stehen die einzelnen Wohnungen, die selten mehr Raum auf
der sich schräg absenkenden Höhe lassen, als zu einem schmalen Gange um
die Hütte erforderlich ist. Daher trifft man denn auch ans fast allen
Halligen keinen Fleck Gartenland für ein wenig Gemüse, keinen einzigen
Strauch mit einer erquickenden Beere, keinen Baum zu einem Ruheplatze
im Schatten. Ans der Ebene sproßt der Überschwemmungen wegen kein
fröhliches Gewächs, keine nährende Frucht. Sie ist eine Wüste, wo nur
das genügsame Schaf seine spärliche Nahrung finden mag. Wohl findet
man vom Wellenschlag zerrissene Ufer, wohl tiefe Einbrüche des Meeres,
die sich oft in langen Krümmungen weit ins, Land hineinerstrecken; wohl
viele stehende Lachen, ein Nachlaß der letzten Überschwemmung, zur Erinne¬
rung, daß das Land schon halb dem Ozean gehöre und ihm bald ganz zu¬
fallen werde: — aber Trinkwasser? Auf der Werste wird ein Behältnis
ausgegraben und ringsum mit Grassoden ausgesetzt, dahin mag sich Regen¬
wasser von obenhcr sammeln oder von den Seiten durchsickern; es dient
den Schafen zur Tränke und ihren Herren zur Bereitung ihres Thees,
obwohl es von dem mit Meersalztheilen durchdrungenen Boden den wider¬
lichsten Geschmack angenommen hat, der es für den nicht daran Gewöhn¬
ten ungenießbar macht. Vielleicht bringt auch gar einmal ein Boot ein
Tönnchen Wasser mit vom festen Lande, und in Zeiten der Dürre kann
solche Zufuhr zur dringendsten Notwendigkeit werden. Eine Freude hat
doch wohl der Halligbewohner: das muntere Treiben eines täglichen und
reichlichen Fischfanges? Nein, nicht einmal den schönen Anblick eines in
hellen, grünlichen Wellen flutenden Meeres hat er; ein widriges, trübes
Gelb in Grau ist die gewöhnliche Farbe der Gewässer um ihn her, und
vor dem Aufenthalt in einer Meeresstrecke, die bei der Ebbe stundenweit
ihren Schlammboden aufdeckt, hüten sich die Fische und überlassen gern
dem Seehunde und der häßlichen Roche allein das wenig einladende Ge¬
biet. Und dies Meer, das die Halligen umgibt und so oft überwogt, und
das auf seinen verschiedenen Punkten nach dem Namen der im Laufe der
Jahrhunderte darin begrabenen Landstellen und ihrer Eigner bezeichnet wird,
dies an Gaben so arme und an Raub so reiche Meer ist noch dazu fort¬
während ein Räuber, der bald mit langsamer, still untergrabender Macht,
bald mit wildstürmender Gewalt ein Stück Land nach dem anderen von dem
Eiland abbricht, so daß der Halligbewohner oft schon die Jahre zählen kann,
wann den Hütten und Herden der letzte Raum genommen sein wird.
Doch glücklich die Hallig, wenn hiermit ihr Bild vollständig gezeichnet
wäre! Aber es bleibt noch eine furchtbare Seite übrig. Zur Gewohnheit
sind die Überschwemmungen geworden, die, alles flache Land überwogend,
an die Werste hinaufsteigen und an die Mauern und Fenster der Hütten
mit ihrem weißen Schaum anschlagen. Da blicken denn diese Wohnungen
ans der weiten, nmrollenden Wasserfülle nur noch als Strohdächer hervor,
von denen man nicht glaubt, daß sie menschliche Wesen bergen, daß Greise,
Männer, Frauen und Kinder vielleicht ruhig um ihren Theetisch her sitzen