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die Pferde im Hofe standen ans und rüttelten sich; die Jagdhunde sprangen
und wedelten; die Tauben aus dem Dache zogen das Köpfchen unter dem
Flügel hervor, sahen umher und flogen ins Feld; die Fliegen an den
Wänden krochen weiter; das Feuer in der Küche erhob sich, flackerte und
kochte das Essen, und der Braten brutzelte fort; der Koch gab dem Jungen
eine Ohrfeige, daß er schrie, und die Magd rupfte das Huhn fertig. Und
da wurde die Hochzeit des Königssohnes mit dem Dornröschen in aller
Pracht gefeiert, und sie lebten vergnügt bis an ihr Ende.
Brüder Grimm.
56. Muttersprache.
1. Muttersprache, Mutterlaut,
wie so wonnesam, so traut!
Erstes Wort, das mir erschallet,
süßes, erstes Liebeswort,
erster Ton, den ich gelallet,
klingest ewig in mir fort.
2. Ach, wie trüb' ist meinem Sinn,
wenn ich in der Fremde bin,
wenn ich fremde Zungen üben,
fremde Worte brauchen muß,
die ich nimmermehr kann lieben,
die nicht klingen als ein Gruß.
3. Sprache, schön und wunderbar,
ach, wie klingest du so klar!
Will noch tiefer mich vertiefen
in den Reichtum, in die Pracht;
ist mir's doch, als ob mich riefen
Vater aus des Grabes Nacht.
4. Klinge, klinge fort und fort,
Heldensprache, Liebeswort,
steig empor aus tiefen Grüften,
längst verschollnes, altes Lied,
leb' aufs neu in Heilgen Schriften,
daß dir jedes Herz erglüht!
5. Ueberall weht Gottes Hauch,
heilig ist wohl mancher Brauch;
aber soll ich beten, danken,
geb' ich meine Liebe kund,
meine seligsten Gedanken,
sprech' ich mit der Mutter Mund. Schenkendorf.
57. Haussegen.
Vor Zeiten, sagt man, war ein andächtiger Mann, der hat Gott
oft, er wolle ihn doch wissen lassen, wie man im Hanse glücklich
leben und der Wirtschaft wohl pflegen möchte. Da ward ihm zu
seiner Zeit ein Gesicht gezeigt von drei Engeln. Der erste kniet und
betet: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von denen
mir Hilfe kommt.“ Der andere hatte eine Haue und suchte Wurzeln
aus der Erde, dass ihm der 8 eh weiss übers Gesicht lief, und sprach:
„Im Schweisse deines Angesichts sollst du dein Brot essen.“
Der dritte sammelte die ausgegrabenen Wurzeln in eine Mulde und
sprach: „Was man zusammen hält, das wird gross,“ und trug
sie dann in ein Häuslein, da die drei Engel alle beisammen wohnten.
— Das ist fein und will bedeuten: Soll’s im Hause wohl zugehen,
so muss man 1. beten, 2. arbeiten, 3. sparen und 4. in engel¬
gleicher Liebe und Einigkeit neben einander wohnen.
Caspari.
58. Zimmerspruch.
Das neue Haus ist aufgericht't,
gedeckt, gemauert ist es nicht;
noch können Regen und Sonnenschein
von oben und überall hinein.
Drum rufen wir zum Meister der Welt,
er wolle von dem Himmelszelt
nur Heil und Segen gießen aus
hier über dieses offne Haus.