Full text: Lesebuch für gewerbliche Fortbildungsschulen und verwandte Anstalten

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78. Vom Eigentum. 
des Dorfes, damit dieser nach dem Eigentümer des Ringes forsche. Auf 
dem gleichen Wege sieht Karl in der am Rande der Straße befindlichen 
Kiesgrube eine versteinerte Muschel von seltener Form. Fritz springt 
ihm voran und nimmt die Muschel. Karl verlangt sie für sich mit den 
Worten: „Sie ist mein, denn ich habe sie zuerst gesehen!" Fritz fühlt, 
daß Karl recht habe, und gibt sie ihm ohne Widerrede. Die Muschel 
ist nun das Eigentum Karls, er ist Besitzer der Muschel. 
Jeder unverdorbene, rechtliche Mensch achtet das Eigentum seines 
Mitbürgers; er verlangt aber auch, daß man seinen Besitz nicht antaste. 
Wenn man kein Eigentum haben dürfte, so würde niemand arbeiten. 
Wer wird einen Baum pflanzen, wenn er fürchten muß, daß jeder 
Vorübergehende ungestraft die Früchte desselben abbrechen darf! Wer 
würde ein Haus bauen, in dem irgend ein Fremdling nach Belieben 
Wohnung nehmen könnte; wer ein Pferd aufziehen, welches der Nachbar 
nach Belieben einspannte! Wer würde Flachs bauen und Leinwand 
bereiten, in welche ein Fremder ohne weiteres sich kleidete! Welche Vor¬ 
stellung muß sich ein rechtlich denkender Mensch von einem Lande machen, 
in dem ein Bewohner das Eigentum des anderen ungestraft hinweg¬ 
nehmen darf! Gewiß wird niemand in einem solchen Lande wohnen 
wollen. 
Die Mittel und Wege, welche uns das Eigentum einer Sache, z. B. 
eines Buches, eines Pferdes, eines Hauses oder Grundstücks, verleihen, 
sind mannigfaltig. 
Es kann geschehen: 
1. durch Kauf, indem man eine Geldsumme dafür bezahlt; 
2. durch Tausch, indem man eine andere Sache von Wert da¬ 
gegen gibt; 
3. durch Schenkung, wenn man die Sache unentgeltlich (umsonst) 
erhält; 
4. durch Erbschaft aus dem Nachlaß verstorbener Eltern und Ver¬ 
wandten oder 
5. dadurch, daß man eine herrenlose (freie) Sache — wie die oben¬ 
genannte Muschel — sich zueignet, von ihr Besitz ergreift. Auch durch 
Arbeit wird vielfach Eigentum erworben. Das Wasser, welches unter 
der Erdoberfläche verborgen ist, gehört niemand. Sobald ich aber 
einen Brunnen grabe, so ist das Wasser, welches sich in demselben 
ansammelt, mein Eigentum; ich kann es ausgießen oder verkaufen oder 
verschenken. Ich habe mir dieses Wasser verschafft durch meine Arbeit. 
Und hätte ich den Brunnen durch Arbeiter graben lassen, so wäre ich
	        
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