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Die Frau führte die Rinder noch tiefer in den Wald,
wo sie ihr Lebtag noch nicht gewesen waren. Da ward
wieder ein großes Feuer angemacht, und die Mutter sagte:
„Bleibt nur da sitzen, ihr Rinder, und wenn ihr müde seid,
könnt ihr ein wenig schlafen; wir gehen in den Wald und
hauen holz, und abends, wenn wir fertig sind, kommen wir
und holen euch ab."
5.
Als es Mittag war, teilte Gretel sein Nrot mit hänsel,
der sein Stücf auf den weg gestreut hatte. Dann schliefen
sie ein, und der Abend verging; aber niemand kam zu den
armen Rindern. Sie erwachten erst in der finstern Nacht,
und Günsel tröstete sein Schwesterchen und sagte: „wart'
nur, Gretel, bis der Mond aufgeht, dann werden wir die
Vrotbröcklein sehen, die ich ausgestreut habe; die zeigen uns
den weg nach Hause." Als der Mond kam, machten sie
sich auf, aber sie fanden kein Nröcklein mehr; denn die viel
lausend Vögel, die im Walde und im Felde umherfliegen,
die hatten sie weggepickt, hänsel sagte zu Gretel: „wir
werden den weg schon finden." Sie fanden ihn aber nicht.
So gingen sie die ganze Nacht und noch einen Tag von
Morgen bis Abend, aber sie kamen aus dem Walde nicht
heraus und waren so hungrig; denn sie hatten nichts als
die paar Neeren, die auf der Trde wuchsen. Und weil sie
so müde waren, daß die Deine sie nicht mehr tragen woll¬
ten, so legten sie sich unter einen Daum und schliefen ein.
Nun war's schon der dritte Morgen, daß sie ihres
Vaters Haus verlassen hatten. Sie fingen wieder an zu
gehen; aber sie gerieten immer tiefer in den Wald, wenn
nicht bald Hilfe kam, so mußten sie verschmachten. Als es
Mittag war, sahen sie ein schönes, schneeweißes vöglein auf
einem Aste sitzen; das sang so schön, daß sie stehen blieben
und ihm zuhörten. Als es fertig war, schwang es seine
Flügel und flvg vor ihnen her, und sie gingen ihm nach,