Full text: Lehr- und Lesebuch oder die Vaterlands- und Weltkunde

480 
IV. Betrachtung übet das Kleinste and Größte 
im Weltall. 
Betrachten wir einen Tropfen Wasser durch ein Mikroskop,, 
so ergreift uns Erstaunen ob einer neuen, nicht geahnten Thierwelt,, 
eben so reich an Mannigfaltigkeit, wie die des Urwaldes, den seit 
Jahrtausenden kein menschlicher Fuß betrat. Auch hier, im Tropfen, 
Leben, Beweglichkeit und Lust, aber auch ein Erhaschen, Erjagen und 
Rauben, eine Wiederholung des schrecklichen Kampfes um Sein und 
Nichtsein zwischen den Löwen, Tigern und Ungeheuern dieser kleinen 
Welt! Trefflich sind sie gebaut, diese winzigen Körperchen, versehen mit 
allen Werkzeugen der Bewegung, der Ernährung, der Erhaltung und 
der Sinne, wie der Erde größtes Geschöpf; aber dieses alles in so 
unendlich kleinem Maßstabe, daß Hunderte dieser, dem bloßen Auge 
unsichtbaren Jnfusionsthierchen in einem einzigen Tröpflein Wasser, 
das kaum den Durst einer Fliege zu stillen vermag, ein fröhliches Da¬ 
sein führen. — Versuche es, sie zu zählen, die Millionen Bewohner 
eines Glases Wasser, und wenn du vor der Unmöglichkeit dieses Werkes 
zurückbebst und viel lieber alle Reiche der Erde in Schätzung nähmest, 
so versetze dich hin ans unermeßliche Weltmeer, theile es zuerst in 
ungeheure Massen, die das flüchtige Dampfboot erst in Wochen durch¬ 
eilt und so fort bis zum tausendfach belebten Tropfen an deinem Finger, 
und — wirst du im sinnigen Rückschluß von der Welt im Tröpflein 
auf die des ganzen großen Oceans nicht ergriffen werden von Bewun¬ 
derung der Größe und Weisheit des Schöpfers, aber nicht auch zugleich 
entzückt sein über die Liebe dessen, der auch im kleinsten Tropfen 
Leben und Freude verbreitete! — 
Wenden wir unsern Blick von dem, was wir Menschen klein und 
unanscheinend nennen, zu einem Bilde unermeßlicher Größe, zu jenen 
Welten, welche die Räume des Himmels füllen. Schon unsere Erde 
hat einen Durchmesser von 1720 und einen Umfang von 5-100 Meilen. 
Aber sie ist gleichsam nur ein „Tropfen am Eimer" und nebst ihren 
Schicksalsgenossen, den übrigen Planeten, gekettet an das „Gestirn des 
Tages", die majestätische Sonne. Um diese drehen sie sich im ewigen 
Kreisläufe, sich an sie schmiegend, wie das Kind an die Mutter, um 
von ihr Licht und Wärme, als die Bedingung ihres Daseins, zu em¬ 
pfangen. So hält die Sonne, als der Central-Körper einer 
Weltenfamilie, diese liebevoll und segnend zusammen durch das Gesetz 
der Schwere, nach welchem das Kleine von dem Großen angezogen 
wird. Um wie viel größer muß aber wohl die Sonne sein, als die 
sie umkreisenden Planeten, da sie sogar aus weiter, weiter Ferne 
die Kraft der Anziehung auf sie auszuüben vermag! Eines Gefühls 
der Erhabenheit und Ehrfurcht können wir uns nicht entschlagen, wenn 
wir an die Größe der prachtvollen Sonne denken; denn eine Kugel, 
gebildet aus 1,400,000 so großen Körpern, wie unsere Erde, würde 
der Sonne an Größe noch nicht gleichkommen. — Die Entfernung
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.