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IV. Betrachtung übet das Kleinste and Größte
im Weltall.
Betrachten wir einen Tropfen Wasser durch ein Mikroskop,,
so ergreift uns Erstaunen ob einer neuen, nicht geahnten Thierwelt,,
eben so reich an Mannigfaltigkeit, wie die des Urwaldes, den seit
Jahrtausenden kein menschlicher Fuß betrat. Auch hier, im Tropfen,
Leben, Beweglichkeit und Lust, aber auch ein Erhaschen, Erjagen und
Rauben, eine Wiederholung des schrecklichen Kampfes um Sein und
Nichtsein zwischen den Löwen, Tigern und Ungeheuern dieser kleinen
Welt! Trefflich sind sie gebaut, diese winzigen Körperchen, versehen mit
allen Werkzeugen der Bewegung, der Ernährung, der Erhaltung und
der Sinne, wie der Erde größtes Geschöpf; aber dieses alles in so
unendlich kleinem Maßstabe, daß Hunderte dieser, dem bloßen Auge
unsichtbaren Jnfusionsthierchen in einem einzigen Tröpflein Wasser,
das kaum den Durst einer Fliege zu stillen vermag, ein fröhliches Da¬
sein führen. — Versuche es, sie zu zählen, die Millionen Bewohner
eines Glases Wasser, und wenn du vor der Unmöglichkeit dieses Werkes
zurückbebst und viel lieber alle Reiche der Erde in Schätzung nähmest,
so versetze dich hin ans unermeßliche Weltmeer, theile es zuerst in
ungeheure Massen, die das flüchtige Dampfboot erst in Wochen durch¬
eilt und so fort bis zum tausendfach belebten Tropfen an deinem Finger,
und — wirst du im sinnigen Rückschluß von der Welt im Tröpflein
auf die des ganzen großen Oceans nicht ergriffen werden von Bewun¬
derung der Größe und Weisheit des Schöpfers, aber nicht auch zugleich
entzückt sein über die Liebe dessen, der auch im kleinsten Tropfen
Leben und Freude verbreitete! —
Wenden wir unsern Blick von dem, was wir Menschen klein und
unanscheinend nennen, zu einem Bilde unermeßlicher Größe, zu jenen
Welten, welche die Räume des Himmels füllen. Schon unsere Erde
hat einen Durchmesser von 1720 und einen Umfang von 5-100 Meilen.
Aber sie ist gleichsam nur ein „Tropfen am Eimer" und nebst ihren
Schicksalsgenossen, den übrigen Planeten, gekettet an das „Gestirn des
Tages", die majestätische Sonne. Um diese drehen sie sich im ewigen
Kreisläufe, sich an sie schmiegend, wie das Kind an die Mutter, um
von ihr Licht und Wärme, als die Bedingung ihres Daseins, zu em¬
pfangen. So hält die Sonne, als der Central-Körper einer
Weltenfamilie, diese liebevoll und segnend zusammen durch das Gesetz
der Schwere, nach welchem das Kleine von dem Großen angezogen
wird. Um wie viel größer muß aber wohl die Sonne sein, als die
sie umkreisenden Planeten, da sie sogar aus weiter, weiter Ferne
die Kraft der Anziehung auf sie auszuüben vermag! Eines Gefühls
der Erhabenheit und Ehrfurcht können wir uns nicht entschlagen, wenn
wir an die Größe der prachtvollen Sonne denken; denn eine Kugel,
gebildet aus 1,400,000 so großen Körpern, wie unsere Erde, würde
der Sonne an Größe noch nicht gleichkommen. — Die Entfernung