Am Denkmal Steins. 
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1806 über Preußen und Deutschland herein. Napoleon vernichtete 
das preußische Heer, besetzte Berlin, nahm alle Lande bis zur Weichsel 
ein. Die Trümmer des Hofes, der Regierung, der Armee sammelten 
sich um den schwergeprüften Monarchen in Königsberg; die dringende 
Frage war die neue Einrichtung der zerbrochenen Staatsgewalt, und 
bei diesen Erwägungen, die man wohl mit dem verzweifelten Ringen 
eines Ertrinkenden vergleichen kann, kam es zu einem völligen Bruche 
zwischen dem König und dem Minister. Stein nahm feine Entlassung 
und ging nach Nassau zurück. Nach allem menschlichen Anschein war 
er für immer von dem Staate seiner Wahl getrennt. Aber sein Herz 
hielt fest an Preußen; all sein Denken und Trachten haftete an der 
Frage der innern Herstellung und mächtigen Erhebung dieses Staates, 
als der Lebenshoffnung der deutschen Nation, nnd während die fran¬ 
zösischen Heeresmassen über die Weichsel hinüber die letzten Schollen 
preußischen Landes zu überfluten drohten, arbeitete hier in ländlicher 
Einsamkeit der unerschütterliche Mann die Grundgedanken aus, welche 
unser zerschlagenes Gemeinwesen mit frischer Gesundheit und siegender 
Jugendkraft erfüllen sollten. Er begehrte eine innere Erneuerung und 
Wiedergeburt von Grund aus. Stein war kein Revolutionär und kein 
Demokrat; er wollte die Achtung bestehender Rechte und verabscheute 
den selbstsüchtigen Individualismus, wie die radikale Gleichmacherei: 
er war mit einem Worte Aristokrat in seinem ganzen Wesen und 
Monarchist in seiner tiefsten Überzeugung. Aber sowohl nach seiner 
praktischen Erfahrung als nach feiner sittlichen Begeisterung stand ihm 
der Satz fest, daß der Befreiungskrieg nur durch ein freies Volk geführt 
werden könne, oder mit anderen Worten, daß nur ein Volk, welches 
durch eigne Arbeit in öffentlichen Angelegenheiten Einsicht und Hin¬ 
gebung gelernt, die Kraft zur kriegerischen Wiedererhebung entwickeln 
werde. Hören wir ihn selbst. „Hat man sich überzeugt," sagte er, 
„daß das Verdrängen einer Nation von jeder Teilnahme an den öffent¬ 
lichen Angelegenheiten den Gemeingeist erstickt, und daß dessen Stelle 
eine Verwaltung durch besoldete Behörden nicht ersetzt, so muß eine 
Veränderung in der Verfassung erfolgen. Man muß bemüht sein, die 
ganze Masse der in der Nation vorhandenen Kräfte auf die Besorgung 
ihrer öffentlichen Geschäfte zu lenken. Denn wenn eine Nation sich 
einmal über den Zustand der Sinnlichkeit erhoben, wenn sie sich eine 
bedeutende Masse von Kenntnissen erworben, wenn sie einen mäßigen 
Grad von Denkfreiheit genießt, so richtet sie ihre Aufmerksamkeit un¬ 
ausbleiblich auf ihre eigenen National- und Kommunalangelegenheiten. 
Räumt man ihr alsdann eine Teilnahme daran ein, so zeigen sich die 
wohlthätigsten Äußerungen der Vaterlandsliebe und des Gemeingeistes; 
verweigert man ihr alles Mitwirken, so entsteht Mißmut und Unwille, 
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