Full text: Ferdinand Hirts Neues Realienbuch für die Provinz Brandenburg

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läuten im Dorfe; willst du nicht in die Kirche gehen? Ich will 
das Haus wohl hüten." Dies sagte das gute Kind, weil die 
Mutter alle Sonntage in die Kirche ging und fröhlicher heimzu¬ 
kehren pflegte, als sie weggegangen war. Die Mutter dachte bei 
den Worten des Kindes: Warum sollt' ich nicht auch heute in 
die Kirche gehen in den bösen Tagen, bin ich ja doch in den 
guten hingegangen? 
3. Sie machte sich mit schwerem Herzen auf den Weg und 
setzte sich in der Kirche härter einen Pfeiler; denn sie schämte sich 
ihres Unmutes. Als das Lied anfing, konnte sie kaum mitsingen 
und ihre Tränen kaum verbergen. Der Pfarrer redete von der 
Liebe und Güte Gottes, und jedes Wort war ihr erquickend und 
rührend. 
4. Als die Kirche aus war, ging die Frau demütigen Herzens 
imd getröstet nach Hause imb sagte: „Habe ich das Metnige getan- 
so wird ja auch der Vater der Witwen und Waisen wohl das 
Seinige tun." Vor allen: war ihr ein Sprüchlein aus der 
Predigt wohl zu Herzen gegangen: „Durch Stillesein nnb Hoffen 
werdet ihr stark sein." — „Der Herr," sagte sie, „hat meine 
Tränen gesehen; er wird sie wohl stillen, wenn es gut ist." 
5. Es hatte aber auch ein wohlhabender Mann aus der 
Gemeinde die Witwe mit ihrem Kummer m der Kirche bemerkt. 
Er hatte gedacht: Sie hat ein heimliches Leid; darum kann sie 
nur mit Tränen der Liebe Gottes gedenken und nicht so fröhlich 
nach der Kirche gehen wie du. Gleich erkundigte er sich nach ihr 
und ihren Umständen. 
6. Als mm am Abend die Witwe mit ihren Kindern beim 
düstern Lampenscheine saß und sie sich untereinander trösteten 
und sich vornahmen, fleißig zu arbeiten, sagte die Mutter: „So 
wollen wir erst ein Geißlamm aufziehen; vielleicht kommen wir 
auch wieder einmal gn eurer Kuh!" Wie sie diese Worte aus¬ 
geredet hatte, hörte sie an der Tür ein Gebrüll wie das einer 
Kuh. Da wurde sie wehmütig; denn das erinnerte sie ja an 
ihre verlorene Kuh. Sie erschrak, da es leise an die Tür klopfte; 
diese öffnete sich; es trat ein Mann herein und sagte: „Seht, 
ein guter Freurrd schickt euch diese Kuh und diese Säcke nebst 
seinem fremldlichen Gruße!" Ehe sie rioch fragen unb danken
	        
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