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Übel in der allzugroßen Beschränkung von Freiheit und Selbständigkeit der einzelnen
Staatsbürger. Sein Hanptstreben war daher auf folgende Punkte gerichtet:
a. Die Schaffung eines freien Bauernstandes. Bis dahin waren fehr viele
Bauern ihrem Gutsherrn erbunterthänig, d. h. sie besaßen ihren Acker nicht als freies
Eigentum, sondern hatten ihn nur von ihrem Herrn zum Nießbrauch. Dafür mußten
sie ihm Frondienste leisten oder Abgaben an Getreide und Geld entrichten. (S. 39.)
Ohne Erlaubnis des Gutsherrn durfte der Bauer seinen Wohnsitz nicht verändern, ja,
nicht einmal heiraten. Stein hob die Erbnnterthänigkeit der Bauern auf. Dadurch
wurden sie mit einem Schlage freie Männer. Sie verbesserten ihre Äcker und gelangten
bald zu Wohlstand. Ihre Söhne konnten nun in die Stadt ziehen und ein Handwerk
oder Gewerbe treiben, was ihnen vorher nicht gestattet war. Ter König ging dem
Adel mit gutem Beispiele voran und machte aus den königlichen Domänen allein 47 000
Bauern frei.
b. Die Schaffung eines freien Bürgerstandes. Auch die Bürger in der Stadt
erhielten durch Einführung einer neuen Städteordnung größere Freiheiten und Rechte.
Bis dahin hatten die Städte wenig freien Willen gehabt. Der Staat gab jeder Stadt
einen Bürgermeister und stellte auch die übrigen Beamten der Stadt an. Ohne höhere
Genehmigung durfte der Magistrat auch nicht die geringste Verfügung erlassen. Ein
städtischer Gemeinsinn fehlte. Die 1808 erlassene Städteordnnng aber übergab den
Städten die Verwaltung ihres Vermögens und aller ihrer Angelegenheiten. Die
Bürgerschaft durfte Stadtverordnete wählen, die wiederum den Bürgermeister und
die übrigen städtischen Beamten zu wählen hatten. Auch sollte die Bürgerschaft nicht
mehr (wie bisher) nach Zünften und Klassen geteilt werden: es gab fortan nur ein
Bürgerrecht für alle.
e. Die Einführung einer neuen Gewerbeordnung. Bis dahin hatten die Zünfte
die Ausdehnung des Gewerbes vielfach gehemmt (S. 29). Dazu kam, daß Back- und
Braurechte nur an bestimmte Grundstücke gebunden waren. Auch der sog. „Mühlzwang"
herrschte noch, durch den die Bewohner eines bestimmten Umkreises gezwungen waren,
in einer bestimmten Mühle Getreide mahlen zu lassen. Stein aber hob den Zunft- und
Mühlzwang auf und beseitigte die Vorrechte gewisser Häuser für Bäckereien, Schlachte¬
reien und Brauereien. So entfernte er die vielen Beschränkungen, die bis dahin dem
Einzelnen beim Broterwerb oft ungemein lästig und hinderlich gewesen waren. —
Sein Nachfolger, der Staatskanzler Hardenberg, setzte dies Werk in seinem Geiste fort.
2. Allgemeine Wehrpflicht. Die Bildung eines tüchtigen Heeres übernahm
der General Scharnhorst. Ihm zur Seite stand der General Gneisenau. Bis dahin
hatte das Heer größtenteils ans geworbenen Söldnern bestanden; jetzt wurde die
allgemeine Wehrpflicht eingeführt, d. h. jeder gesunde und brauchbare Preuße mußte
Soldat werden. Zuerst diente er einige Jahre in der Armee (Linie), dann wurde er
Landwehrmann. Die Strafe des Gassenlaufens wurde sofort abgeschafft. Die enge,
unpraktische Kleidung machte einer bequemeren Platz, und Zopf, Locken und Puder
waren fortan in der Armee verbannt. Ohne Rücksicht auf Geburt sollte jeder Soldat
zu den höchsten Osfizierstellen gelangen können. — Da nicht mehr als 42 000 Mann
Soldaten gehalten werden durften, so wurden anfänglich die Rekruten schnell einexerciert,
dann entlassen und andere an ihre Stelle gesetzt. So hatte man bald ein Heer von
150 000 Mann im Lande.
3. Schill. Friedrich Wilhelm von Braunschweig. In ganz Deutschland ertrug
man die Herrschaft Napoleons mit bitterm Ingrimm, und hier und da standen kühne
Männer auf, die es versuchten, die Ketten der Knechtschaft zu brechen. Zu ihnen
gehörte der Major von Schill. Mit einigen Hundert Reitern verließ er im Frühjahr