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König Wilhelm im Lazarette.
mundeten, der eben eingeschlafen war, ein aufgeschlagenes Stammbuch. Der König nahm
es und schrieb hinein: „Mein Sohn, gedenke Deines Königs!" Als der Kranke erwachte,
sah er den Gruß seines Kaisers, und Thränen der Freude rollten ihm von den bleichen
Wangen herab. Einige Tage darauf kam der König wieder; der Soldat lag schon im
Sterben, aber dennoch erkannte er den König, richtete sich auf und rief: „Majestät, ich
werde Ihrer ewig gedenken, auch dort oben." Dann sank er zurück und war tot. Gerührt
drückte ihm der König die Augen zu.
5. Pflichttreue. Von früh bis spät war der Kaiser unausgesetzt thätig. Mit
der größten Gewissenhaftigkeit erledigte er alle Regierungsgeschäfte, und nur wenige
Stunden waren der Erholung gewidmet. Selbst im höchsten Alter gönnte er sich noch
keine Ruhe. Als ihm seine Ärzte einst rieten, sich doch täglich wenigstens eine halbe
Stunde auf dem Sofa auszuruhen, sagte er: „Sie haben gut reden, meine Herren,
aber wenn mir vom Tage eine halbe Stunde genommen wird, so erscheinen des
Abends Reste. Das geht nicht." Ein andermal bat ihn sein Leibarzt recht dringend,
des schlechten Wetters wegen doch der angesetzten Parade nicht beizuwohnen, da sonst
das Schlimmste zu befürchten sei. „Dann sterbe ich wenigstens im Dienste", sagte
der Kaiser ruhig und ritt munter zum Thore hinaus.
6. Tod. Am 9. März 1888 starb Kaiser Wilhelm in einem Alter von fast 91
Jahren. Noch wenige Tage vorher hatte er die Regiernngsgeschäste in gewohnter
Weise erledigt, und am Tage vor seinem Tode vollzog er noch mit zitternden Händen
die letzte Unterschrift. Eine Erkältung warf ihn aus das Kranken- und Sterbebett.
Langsam, wie ein verlöschendes Licht, schwanden seine Kräfte dahin. Ihm zur Seite
saß die Kaiserin, seine Hand fest in der ihrigen haltend. Auch der Prinz Wilhelm
und die übrigen Mitglieder der königlichen Familie sowie Bismarck, Moltke u. a.
Realienbuch. B g