292
als ging's ohn' ihn entschieden nicht.
War so mit Leib und Seel' dabei,
als ob er selbst die Rheinwacht sei;
hat drum den Glockenschlag vergessen
und kam zu spät zum Mittagsessen.
Mit heißen Wangen, rotem Kops,
mit offner Brust, verwehtem Schopf
erscheint er endlich siegesmatt —
die andern waren halb schon satt —
grüßt obenhin, setzt sich zu Tisch
und greift nach seinem Löffel frisch.
Jedoch der biedre Vater spricht:
„Fritz, ungebetet ißt man nicht!"
Worauf mein Fritz vom Stuhl ersteht,
die Hände faltet zum Gebet,
und — weil sein Kopf, noch stark zerstreut,
giebt's, wie der Geist ihm just gebeut •— spricht:
„Lieber Gott, magst ruhig sein,
fest steht und treu die Wacht am Rhein! Amen."
244. Kaiser Wilhelm im Lazarett.
Eines Tages durchschritt der deutsche Kaiser Wilhelm die
Lazarettsäle zu Versailles, wie er häufig zu thun pflegte. Überall
tröstete er, und oft war es schon der bloße Anblick seines lieben,
freundlichen Gesichts, welcher die armen Verwundeten auf Augen¬
blicke ihre Schmerzen vergessen ließ. — So trat er diesmal auch
zu der Lagerstätte eines jungen verwundeten Infanteristen. Der
war infolge eines Schlafpulvers eingeschlummert und hatte ein
Album von Gedichten liegen lassen. Der König trat leise, um
den armen Verwundeten nicht zu stören, hinzu, nahm den neben
dem Album liegenden Bleistift und schrieb die wenigen Worte
hinein:
„Mein Sohn, gedenke deines treuen Königs!
Wilhelm."
Der Soldat erwachte, und reiche Thränen perlten ihm beim
Anblicke dieser Zeilen aus den Augen. Wenige Tage darauf be¬
suchte der Kaiser wiederum das Lazarett und trat sofort auf den
Infanteristen zu, drückte ihm freundlich die Hand und tröstete
ihn. Derselbe war jedoch schon vom Tode als sichere Beute er¬
lesen worden. Wachsbleich, mit halbgebrochenen Augen starrte er
ins Leere. Kaum jedoch hatte er seinen König erkannt, als er
sich mit der letzten Kraft seines Körpers emporrichtete, den König