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doch Seehandelsstadt, die größte von ganz Preußen. Mehr als 5000 größere
Schiffe besuchen jährlich den Stettiner Hafen. Sie bringen besonders
Steinkohlen, Eisenerze, Steine, Getreide, Petroleum, Heringe, Kolonial⸗
waren und Wein. Sie führen aus besonders Zucker, Mehl, Zement,
Schamottwaren, Maschinen, Spiritus und Heringe. Das alles trägt der
Oder dunkle Flut. Majestätisch windet sie sich von Süden durch saft⸗
grüne Wiesenniederungen heran, in viele Arme gespalten. Wie sind diese
Arme doch im Stadtgebiet kunstvoll ausgenutzt, erweitert und vertieft zu
schönen, bequemen Landungsplätzen und Häfen! Der größte darunter ist
der Freihafen. Er wurde 1899 für 15 Millionen Mark hergestellt.
Welch ein Leben und Treiben! Pfeilschnell schießen kleine Flußdampfer
zwischen den mächtigen Ozeanriesen einher. Diese legen langsam und vor—⸗
fichtig an, mehren den Mastenwald und löschen ihre Ladung in die be—
häbigen, langgestreckten Oderkähne oder in die heranrollenden Eisenbahn⸗
und Frachtwagen. Tausend fleißige Hände befrachten sie aufs neue fürs
Ausland. Sieh, dort fährt gerade ein großes Schiff aus; durch elektrische
Kraft erheben sich die mächtigen Klappen einer Brücke, auf die es los—
fährt, das Schiff geht hindurch; die Klappen schließen sich wieder, und
über sie weg flutet aufs neue betäubender Verkehr von Menschen und
Wagen, als sei nichts geschehen.
6. Nicht immer hatte Stettin solche Bedeutung. Wald und Sumpf
umgab hier im 9. Jahrhundert nur ein wendisches Fischerdorf mit einer
Art Burg auf einer Anhöhe des linken Oderufers. Aber der Ort wuchs.
Bischof Otto von Bamberg predigte (1124 und 1128) hier das Evangelium,
zerstörte das Götzenbild des Triglaff und baute zwei Kirchen. Die eine
ftand an der Stelle der heutigen Peter— und Paulskirche. Diese ist so—
mit Pommerns ältestes Gotteshaus. Später regierten die pommerschen
Herzoge in Stettin Herzog Barnim III. begann schon 1346 den Bau
des jetigen Königlichen Schlosses, das dann später von den preußischen
Königen ausgebaut und erweitert wurde. Im Westfälischen Frieden 1648
wurde die Stadt schwedisch. Blutig rang der Große Kurfürst zweimal
um ihren Besitz; aber die Federn ränkevoller französischer und österreichischer
Staatsmänner entrissen seinem Schwert wieder den wohlerworbenen Sieges⸗
preis. Erst König Friedrich Wilhelm J. erwarb 1720 Stettin endgültig
für Preußen und befestigte die Stadt aufs neue. Aber schmählich über—
gab sie der feige Festungskommandant in Preußens Unglücksjahr 1806
den Franzosen. Eine französische Besatzung bedrängte sieben Jahre lang
die Bürgerschaft Erst 1813 schlug die Befreiungsstunde. Unter Preußens
Zepter atmete Stettin wieder auf, gedieh und wuchs mit allmählich zu—
sehmender Schnelligkeit, besonders nachdem es seit 1873 aufgehört hatte,