395 
Wohl heißt es: „Wer ein tugendhaft Weib gefunden, hat einen größeren 
Schatz, denn köstliche Perlen. Sie thut ihren Mund auf mit Weisheit, und 
auf ihrer Zunge ist holdselige Lehre." M. Mendelssohn. 
223. Geduld. 
1. Es zieht ein stiller Engel 
durch dieses Erdenland, 
zum Trost für Erdenmängel 
hat ihn der Herr gesandt. 
In seinem Blick ist Frieden 
und milde, sanfte Huld; 
o solg' ihm stets hienieden, 
dem Engel der Geduld! 
2. Er führt dich immer treulich 
durch alles Erdenleid, 
und redet so erfreulich 
von einer schönern Zeit. 
Denn willst du ganz verzagen, 
hat er doch guten Mut; 
er Hilst das Kreuz dir tragen 
und macht noch alles gut. 
3. Er macht zu linder Wehmut 
den herbsten Seelenschmerz 
und taucht in stille Demut 
das ungestüme Herz. 
Er macht die finstre Stunde 
allmählich wieder hell, 
er heilet jede Wunde 
gewiß, wenn auch nicht schnell. 
4. Er zürnt nicht deinen Thränen, 
wenn er dich trösten will; 
er tadelt nicht dein Sehnen, 
nur macht er's fromm und still. 
Und wenn im Stnrmestoben 
du murrend fragst: „Warum?" 
so deutet er nach oben, 
mild lächelnd, aber stumm. 
5. Er hat für jede Frage 
nicht Antwort gleich bereit, 
sein Wahlspruch heißt: „Ertrage! 
Die Ruhstatt ist nicht weit." 
So geht er dir zur Seite 
und redet gar nicht viel 
und denkt nur in die Weite, 
ans schöne, große Ziel. 
Spitta. 
224. Timon Fladde, der alte Invalide. 
Wem seine Suppe nicht behagen will, fei's, weil keine Butterklöße und 
Fleischstückchen darin sind, oder weil er gar nicht weiß, warum, der lasse sie 
vom alten Simon Fladde kochen, der ein Koch war, wie's keinen mehr giebt, 
obwohl er sich nur auf Wassersuppen verstand. Aber er bereitete sie sich 
mit dem Salze der Arbeit und mit dem Schmalze der Zufriedenheit, die noch 
über die des weit bekannten Johann des Seifensieders ging, der vielleicht 
alle Tage Fleisch zu seiner Suppe hatte, während es sich bei unserem Simon 
nur an: Sonntage im Topfe fand. So ein gottvergnügtes Leben hat aber 
wohl nicht leicht ein Mensch bei Braten und Kuchen geführt wie Simon 
Fladde bei Wasser und Brot. Da saß er, vormals ein Held im sieben¬ 
jährigen Kriege, nun ein ehrlicher Schuhflicker und Sänger dazu, in seiner 
Lehmhütte und flickte vom frühen Morgen an, daß der Pechfaden nur so 
pfiff, und sang sein „Wach' auf, mein Herz, und singe dem Schöpfer aller 
Dinge", daß einem, wenn man gerade draußen vorbeiging, das Herz auch 
aufwachen und aufgehen mußte. Und obgleich er sich am Abend oft nur
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.