l. Zur Geschichte.
A. Milder aus der Geschichte des Altertums.
1.
EhidherI, der ewig junge, sprach:
Ich fuhr an einer Stadt vorbei;
ein Mann im Garten Früchte brach;
ich fragte, feit wann die Stadt hier fei.
Er sprach und pflückte die Früchte fort:
Die Stadt steht ewig an diesem Grt
und wird so ewig stehen fort.
Und aber nach fünfhundert Jahren
kam ich desselbigen Wegs gefahren.
Da fand ich keine Spur der Stadt;
ein einsamer Schäfer blies die Schalmei,
die Herde weidete Laub und Blatt;
ich fragte: Wie lang ist die Stadt vorbei?
Er sprach und blies auf dem Rohre fort:
Das eine wächst, wenn das andere dorrt,
das ist mein ewiger Weideort.
Und aber nach fünfhundert Jahren
kam ich desselbigen Wegs gefahren.
Da fand ich ein Meer, das Wellen schlug,
ein Schiffer warf die Netze frei;
und als er ruhte vom schweren Zug,
fragt' ich, feit wann das Meer hier fei.
Er sprach und lachte meinem wort:
Chidher.
So lang, als schäumen die Wellen dort,
fischt man und fischt man in diesem Port?)
Und aber nach fünfhundert Jahren
kam ich desselbigen Wegs gefahren.
Da fand ich einen waldigen Raum
und einen Mann in der Siedelei,
er fällte mit der Axt den Baum;
ich fragte, wie alt der Wald hier fei.
Er sprach: Der Wald ist ein ewiger Hort,
schon ewig wohn' ich an diesem Vrt,
und ewig wachsen die Bäume hier fort.
Und aber nach fünfhundert Jahren
kam ich desselbigen Wegs gefahren.
Da fand ich eine Stadt, und laut
erschallte der Markt vom Dolksgeschrei.
Ich fragte: Seit wann ist dieStadt erbaut?
Wohin istWald undMeerundSchalmei?
Sie schrieen und hörten nicht mein wort:
So ging es ewig an diesem Grt
und wird so gehen ewig fort.
Und aber nach fünfhundert Jahren
will ich desselbigen Weges fahren.
Rückert.
2. Cm ägyptisches Totengericht.
Ein Beherrscher des alten Ägyptens war verschieden. Am See
Möris saßen die vier Totenrichter und beratschlagten, ob dem Ver¬
blichenen die Ehre des Grabes zuteil werden sollte. Es traten un¬
bescholtene Männer auf, um Zeugnis abzulegen für den Toten, und
was sie vorbrachten, gereichte zu seinem Lobe. „Er hat das Vaterland
durch den Ruhm seiner Waffen verherrlicht", sagte der erste. — „Diesen
Ruhm hat das Volk mit seinem Blute bezahlt", antworteten die Richter.
— „Er hat den Künsten und Wissenschaften Schutz geliehen", sagte ein
zweiter. — „Aber er hat den Pflug gering geachtet", entgegneten die
Richter. — „Er hat sich den Namen eines Gottesfürchtigen und Leut-
*) Ein indischer, mit ewiger Jugend begabter Gott, der nach der Sage aller
■500 Jahre auf die Erde niedersteigt. — 2) Hafen.