Karl VI. 
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etwas; wenigstens hatte er manche vernünftige Zwischenzeiten. 
Aber ein unglücklicher Vorfall warf ihn in einen noch stärkern 
Wahnsinn zurück. Es wurde bei Hofe eine Hochzeit gefeiert und 
bei der Gelegenheit eine Maskerade veranstaltet. Auch der Kö¬ 
nig, der gerade vernünftig war, wollte dabei seil: und verkleidete 
sich mit noch fünf Andern als Wilde. Sie ließeli nch in Lein¬ 
wand einnähen, mit Pech bestreichen und Haare und Federn 
daraus kleben. Alle sechs waren mit Ketten aneinander befestigt, 
und es wurde Jedermann gewarnt, ihnen mit dem Lichte zu 
nahe zu kommen. Allein des Königs Bruder, der Herzog von 
Orleans, hatte das nicht gehört. Kaum waren also die sechs 
Wilden in den Saal getreten, so ergriff er eine Fackel und be¬ 
leuchtete die wunderbare Gruppe. Aber o Unglück! die Verklei¬ 
dung des Einen fing Feuer und dies verbreitete sich so schnell 
und unaufhaltsanl, daß vier unter vielem Geschrei und Winseln 
elendiglich verbrannten; der Fünfte riß sich noch glücklich los 
und sprang ■— denn er brannte auch schon — schnell in ein 
Faß Wasser, welches er in der Küche fand, und der König wurde 
nur dadurch gerettet, daß eine der Prinzessinen, die gerade mit 
ihm sprach, ihm schnell ihre Schleppe über den Kopf warf und 
so das Feuer erstickte. Aber der Schreck wirkte so nachtheilig 
auf sein Gemüth, dast er in noch stärkere Raserei verfiel, in 
welcher er weder sich noch die Seinigen kannte, leugnete, daß er 
Karl heiße und König sei, und in Wuth gerieth, wenn er bei 
seinem Namen genannt wurde. Hatte er nun auch später lichte 
Augenblicke, so war er doch ganz unfähig, sein Land zu regieren^ 
und man war in Verlegenheit, wie man ihn unterhalten sollte. 
Da verfiel man darauf, ihn mit den unlängst erfundenen Spiel¬ 
karten zu belustigen. Ein geschickter Maler in Paris malte sie 
schön aus mit Farben und Gold, und nun wurden Spiele er¬ 
funden. Daher findet man auf den Bildern mancher unserer 
Karten auch jetzt uoch Anspielungen auf jene Zeit. Die darauf 
stehenden Wörter: la Hire, Hector u. s. w., sind Namen damals 
am Hofe lebender Edelleute. Das Beispiel des Hofes machte, 
daß das Kartenspiel nun reißend überhand nahm und wenige 
Jahre darauf mußten schon einschränkende Gesetze dagegen ge¬ 
geben werden. Dies war der Ursprung der Kartenspiele. 
Die Feindschaft zwischen des Königs Bruder, dein Herzoge 
Ludwig von Orleans, und dessen Vetter, dem Herzoge von 
Burgund, Johann dem Unerschrockenen, wurde immer
	        
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