56 Mittlere Geschichte. 2. Periode. Deutschland.
herbei. Die Kriegsleute beichteten einander, da es an Geistlichen
gebrach, ihre Sünden, und Jeder vergab dem Andern, was er
zu vergeben hatte, damit der Himmel auch seiner Schuld nicht
gedenken wolle. Da trat Otto hervor: „Seht den Feind!" rief
er; „er vertraut aus seine Kühnheit, wir aber auf den Schutz
des Himmels!" Dann fiel er, Angesichts des Heeres, auf seine
Kniee, bekannte dem Himmel laut seine Schuld und flehte ihn um
den Sieg an. So brach er auf den Feind ein, der nach wü¬
thender Gegenwehr endlich auch hier, auf beni Lechfelde bei
Augsburg, eine große Niederlage erlitt. Die meisten Ungern
wurden erschlagen, manche erst auf der Flucht, gefangen nur we¬
nige. Die Erbitterung der Deutschen vergaß, an den wehrlosen
Gefangenen Großmuth zu üben. Zwei der Hauptanführer der
Ungern, die den Deutschen in die Hände fielen, wurden gehenkt,
manche Gefangene gar lebendig in große Gruben geworfen und
so begraben! — eine schauderhafte Barbarei, die ohne Otto's
Vorwissen geschah. Als die Ungern davon hörten, ergrimmten
sie so, daß sie aus Rache alle noch in ihrem Lande lebende ge¬
fangene Weiber und Kinder, an 20,000, ermordeten. So erzeugt
eine Unmenschlichkeit die andere.
Folgende zwei Züge zeigen, wie edeldenkend Otto war. Seine
Mutter, Mathilde, war eine brave Frau, aber eine schlechte Wir¬
thin; besonders pflegte sie, nach den damaligen Begriffen von
Frömmigkeit, die Kirchen und Klöster so reichlich zu beschenken,
daß ihr Sohn sich endlich bewogen fühlte, ihr die freie Bestim¬
mung über ihre Ausgaben zu nehmen. Die alte Frau fühlte
sich dadurch sehr gekränkt; das hatte sie von ihrem Sohne nicht
erwartet. Damals lebte noch Otto's erst Frau Edith. Kaum
erfuhr die gute Frau die Betrübniß ihrer Schwiegermutter, als
sie gleich zu ihrem Gatten eilte, ihm sein Unrecht liebreich vor¬
stellte und nicht eher abließ, bis er ihr versprach, die Beschrän¬
kung aufzuheben und die Mutter um Verzeihung zu bitten. Diese
freute sich, als sie ^ von der Veränderung ihres Sohnes hörte, so,
daß sie sich gleich aufmachte, um ihn zu besuchen. Als er erfuhr,
daß sie käme, reiste er ihr entgegen, sprang, sobald er sie erblickte,
vom Pferde, fiel vor ihr aufs Knie nieder und rief: „O ehr¬
würdige Mutter, lege mir eine Strafe auf, welche du willst, aber
verzeihe mir! Seitdem ich dich gekränkt, habe ich keine Ruhe,
keinen Seelenfrieden mehr." Die weinende Mutter drückte ihn
an ihr Herz, küßte ihn und sprach: „Sei ruhig, mein lieber Sohn!