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Neueste Geschichte. 1. Periode. Frankreich. 
der Nationalversammlung. Vor der Thüre desselben versperrte 
ein Pöbelhaufen ihnen den Weg und hielt sie über eine Viertel¬ 
stunde auf. Von allen Seiten schrie man auf sie ein: „Wir 
wollen keinen Tyrannen mehr! Bringt sie um! Bringt sie um!" 
Ein gräßlich aussehender Kerl drängte sich ganz nahe an den 
König und sagte ihm die schrecklichsten Drohungen ins Gesicht. 
Endlich ließ man sie ein. Der König setzte sich auf einen Stuhl 
neben den Präsidenten und sprach: „Meine Herren, ich komme 
hieher, um Frankreich ein großes Verbrechen zu ersparen. Ich 
habe geglaubt, daß ich nirgends sicherer sein könnte, als unter 
den Stellvertretern der Nation." Bald aber erhob sich ein wildes 
Geschrei: der König solle sich auf die Bank der Minister setzen. 
Er that es; aber auch hier, hieß es nun, dürfe er nicht bleiben; 
er solle in die Loge eines Zeitungsschreibers gehen. Hierhin 
begab er sich mit seiner Familie und mußte nun zuhören, wie 
die Versammlung über seine Absetzung berathschlagte. 
Nachdem der König die Tuilerien verlassen hatte, ließ die 
Bürgerwache den Pöbel ungehindert eindringen. Anfangs gaben 
die Schweizer Feuer, wurden aber bald überwältigt und nun 
ermordet, wo man sie fand. Das Schloß wurde erobert und 
geplündert. Der Mord wälzte sich von Straße zu Straße. Wer 
als Freund des Königs und der Ordnung bekannt war, wurde 
in Stücke zerrissen, und noch in den folgenden Tagen mordete 
man die Schweizer, die sich am ersten Tage versteckt hatten. 
Die Nationalversammlung, aus der aber fast alle Gutgesinnte 
aus Furcht vor Dolchen und aus Betrübniß über die Tyrannei 
der Jacobiner weggeblieben, sprach nun die Absetzung des 
Königs aus, und es wurde bestimmt, daß in der jetzigen Ge¬ 
fahr des Vaterlandes ein Nationalconvent zusammengerufen wer¬ 
den sollte. Nachdem die königliche Familie drei Tage lang im 
Hause der Versammlung bewacht worden war und die Nächte 
auf der Erde schlafend hatte zubringen müssen, wurde sie ihrer 
treuen Diener beraubt und nach einem alten Gefängnisse gebracht, 
welches einst den Tempelherren gehörte und davon noch der 
Tempel hieß. Frankreich war nun eine Republik. 
Als die Nachricht von diesen Ereignissen nach dem Heere 
kam, war Lafayette gleich entschlossen, mit seinen Soldaten 
nach Paris zu eilen, um den gefangenen König zu befreien; denn 
eine freie Verfassung hatte er wohl gewünscht, nicht aber eine 
völlige Auflösung aller Ordnung. Aber nicht so dachten seine
	        
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