Full text: Lesebuch für die reifere weibliche Jugend

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227. Vaterlandslied. 
1. Ich bin ein deutsches Mädchen! 
Mein Aug' ist blau und sanft 
mein Blich 
ich hab' ein Herz, 
das edel ist und stolz und gut. 
2. Ich bin ein deutsches Mädchen! 
Erköre mir kein ander Land 
zum Vaterland, 
wär' mir auch frei die große 
Wahl! 
3. Ich bin ein deutsches Mädchen! 
Mein hohes Auge blickt auch 
Spott, 
blickt Spott auf den, 
der Säumens macht bei dieser 
Wahl. 
4. Du bist kein deutscherIüngling, 
bist dieses lauen Säumens wert, 
des Vaterlands 
nicht wert, wenn du's nicht liebst 
wie ich. 
5. Du bist kein deutscherIüngling, 
mein ganzes Herz verachtet dich, 
der 's Vaterland 
verkennt, dich Fremdling und 
dich Tor! 
6. Ich bin ein deutsches Mädchen! 
Mein gutes, edles, stolzes Herz 
schlägt laut empor 
beim süßen Namen: Vaterland. 
7. So schlägt mir's einst beim 
Namen 
des Jünglings nur, der stolz 
wie ich 
aufs Vaterland, 
gut, edel ist, ein Deutscher ist. 
Fr. ®. Klopstock. 
228. Aus dem deutschen Frauenleben. 
I. Bis zur Völkerwanderung. 
Eigentümlich ist den alten Germanen die hohe Achtung, die 
die Frauen und Jungfrauen genossen. Man glaubte, den Frauen 
wohne etwas Heiliges bei. und viele vermöchten mit prophetischem 
Blick in die Zukunft zu schauen. Man legte deshalb auf ihre Rat¬ 
schläge und Aussprüche einen hohen Wert. So wußte die 
Seherin Veleda die deutschen Völkerstämme zum Kampfe 
gegen Kaiser Vespasian anzufeuern, als der kluge Claudius Civilis 
mit seinen Batavern (an den Rheinmündungen) sich erhob. 
Veleda wohnte in einem Turme, und es war niemand gestattet, 
unmittelbar vor sie zu treten und sie zu befragen. Sie erhielt 
reiche Geschenke, selbst von den römischen Feldherren. Unter 
Kaiser Domitian geriet sie in römische Gefangenschaft und wurde 
zu Rom im Triumphe aufgeführt. 
Auch später hat sich diese Verehrung für das weibliche Ge¬ 
schlecht bei den Deutschen erhalten. Die Ehre und Unschuld der 
Frauen und Jungfrauen war dem Deutschen stets heilig, und 
Tacitus sagt, niemand lächle dort über das Laster. Die Ehe wurde 
vom Manne selten vor dem dreißigsten, von der Jungfrau selten 
vor dem zwanzigsten Lebensjahre geschlossen. Eine Mitgift 
bekam die Frau nicht: vielmehr mußte der Bräutigam sie den
	        
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