XL Die Gemeinde und ihre Pflichten,>ie Genossenschaft und ihr Segen. 325
hat. Nie verleitete ihn auch ein gerechter Eifer, jemandem seine
Pflichten zu erschweren oder ihm ein mehreres aufzubürden, als die
Ordnung mit sich brachte.
Um alles mit wenigem zu sagen: er war der Vater und der
Friedensrichter seines Kirchspiels, der Freund seiner Untergebenen
und der Ratgeber in allen Wirtschaften. Justus Möser.
204. Die Mauersteine.
Ein Maurer war eben beschäftigt, eine tüchtige Mauer aufzuführen,
und nahm von den angefahrenen Steinen einen nach dem andern zur
Hand. Die Steine ließen sich ruhig in die Schichten einfügen, dem:
sie wußten, es könne einmal nicht anders sein, wenn aus ihnen eine
Mauer werden solle. Jetzt aber faßte er endlich einen, der fing in
seiner Hand eine Predigt an über die Freiheit. „Höre, Meister-
Maurer," rief er, „das leide ich nicht, mich da so einzwängen zu
lassen; du mußt mir Raum geben, mich zu bewegen!" — „Und höre
du," versetzte der Maurer, „wofür hältst du dich denn?" — „Wunder¬
liche Frage! Für einen Mauerstein, für nichts mehr und nichts weniger."
— „Du willst also, daß ich dich mit zur Mauer nehme?" — „Das
versteht sich!" sprach der Stein. „Nun, und doch willst du dir die
Schranken nicht gefallen lassen, in die du dich fügen mußt, wenn du
das sein willst, wofür du dich ausgibst? Das ist doch lächerlich. Nun,
frisch, besinne dich, denn es ist hohe Zeit!" sprach der Maurer, noch
immer den Stein in der Hand haltend. „Willst du zur Mauer dienen,
so nimm deinen Platz ein." — „Nun ja, aber meine Freiheit muß
ich haben." — „Die sollst du auch haben; sie wird darin bestehen, daß
du ungestört in der Mauer liegst und deinen Platz behauptest!" —
„Geh' mir mit deiner einfältigen Freiheit," erwiderte der Stein; „ich
muß mich bewegen können, dabei bleibt's." — „Nun so kann ich dich
nicht brauchen; mache, was du willst!" — „Ei, so will ich denn lieber
auf diesem freien Platze liegen, da hab' ich doch den Genuß meiner
Freiheit." — Der Maurer tat ihm den Gefallen und warf ihn, zum
Genusse der gewünschten Freiheit, von sich.
Da lag nun der liebe Stein im Genusse seiner gewünschten Freiheit.
Eine Zeitlang ging's gut. Als aber die Stürme des Herbstes den
Staub aufregten und Regengüsse kamen, da ward der Stein mit Kot
und Schmutz bedeckt, daß man ihn kaum noch sehen konnte. Endlich
weichte die Erde aus und gab der Last des Steines nach. Allmählich
versank dieser und ward endlich ganz zertreten. Zum Unglücke war's
auch zur Rückkehr zu spät, denn die Mauer war ohne ihn fertig ge¬
worden, und der Maurer war fort.
Ja, die Mauer war fertig ohne diesen Stein; aber so ganz ruhig
war's uach seinem Hintritte doch nicht vorwärts gegangen. Einem
andern Stein taugte die Stelle nicht, die ihm der Maurer in der
Schicht anweisen wollte. „Nein, Maurer," rief er, „da vorn an der
Ecke will ich liegen!" — „Da kannst du nicht liegen," erwiderte der
Maurer; „siehst du nicht, daß der Platz schon besetzt ist?" — „Das