Full text: Lesebuch für ländliche Fortbildungsschulen

86 HI. Tages- und Jahreslauf, Fleiß und Frömmigkeit. 
und Pfandverleiher fast wöchentlich zum Fenster hineinsah und höflich 
grüßend sprach: „Es tut mir leid, Herr Rückwärts, Euch belästigen zu 
müssen, aber ich muß meine Schuldigkeit tun." Ihre Schuldigkeit mit 
Bitten und Raten und Helfen hatten auch bereits die Hausfreunde 
getan, aber einer nach dem andern war mit der Erklärung daheim 
geblieben: „Dem Rückwärts ist nicht mehr zu helfen." Da war aber 
einer, der hatte das Herz auf dem rechten Flecke. Wie der mit dem 
Rückwärts einmal hinter dem Glas saß, brachte er wie durch Zufall 
die Rede auf die Spatzen und erzählte von diesem Gevögel dies oder 
das, wie gar erstaunlich sie sich mehrten, wie sie schlau und gefräßig 
wären, und der Rückwärts nickte dazu und meinte, feine Weizenäcker 
trügen seit lange nicht mehr so gut; zweifelsohne wäre der Spatzen¬ 
fraß immer daran schuld. Der Hausfreund ließ es dahingestellt und 
fuhr fort: „Aber, Nachbar, habt Ihr denn schon einen weißen Spatzen 
gesehen?" 
„Nein," gab der Rückwärts zur Antwort, „die hier herum¬ 
fliegen, sind alle grau." 
„Glaub's wohl," sagte darauf der Nachbar, „mit dem weißen 
Spatzen hat es sein eigen Bewenden. Alle Jahre kommt nur einer 
zur Welt, und weil er gar absonderlich ist, so beißen ihn die anderen, 
und er muß sein Futter suchen am frühen Morgen und dann wieder zu 
Neste gehen." 
„Das wäre!" sagte Rückwärts, „den muß ich sehen, und ge- 
lingt's, da fang' ich ihn auch." 
Und am nächsten Morgen in aller Frühe war der Bauer auf den 
Beinen unb ging um seinen Hof herum, auch ein Stücklein ins Feld 
hinein, ob der weiße Spatz nicht bald vom Neste käme. Aber der 
wollte nicht kommen, und das verdroß den Bauer, jedoch noch mehr, 
daß auch sein Gesinde nicht aus dem Neste wollte, und die Sonne stand 
schon hoch. Dazu schrie das Vieh in den Ställen, und es war niemand 
da, der ihm Futter gab. 
Indem sieht er einen Knecht auf dem Hofe kommen, der trä^t 
einer: Sack auf der Schulter und will schnell zum Hoftor hinaus; 
dem eilt er nach und nimmt ihm die Last ab; denn in die Mühle 
sollte sie nicht, sondern ins Wirtshaus, wo der Knecht stark auf der 
Kreide stand. 
Nach den: weißen Spatzen seher:d, schaut der Bauer in den Kuh¬ 
stall hineir:, wo eben die Milchmagd einer Nachbarin durchs Fenster 
die Milch zum Morgenkaffee reicht, und die Milch war nicht mit des 
Herrn Maß gemessen. „Eine saubere Wirtschaft das!" denkt der Bauer 
und weckt scheltend sein Weib ur:d erklärt, das lange Schlafen müsse 
ein Ende haben, oder er wolle nicht Rückwärts heißen. Und bei sich 
selber denkt er: „Stehe ich früh auf wie heute, so muß auch das Pack¬ 
volk aus dem Hose heraus, und dabei sehe ich am Ende doch den 
weißen Spatzen, und will's das Glück, so fange ich ihn auch." 
Wie aber der Bauer das etliche Wochen getrieben hatte, da sah 
er nicht mehr nach dem weißen Spatzen, sonder:: dachte allein an seinen 
Vorsatz, und ans dem Rückwärts wurde bald ein Vorwärts. Und als
	        
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