Full text: Lesebuch für ländliche Fortbildungsschulen

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I- Der Bauernstand sonst und jetzt- 
Als Blumenfreund beschäftigte er sich, um seine durch den ärzt¬ 
lichen Berus geschwächten Nerven zu stärken, in den Mußestunden mit 
Blumenzucht, namentlich mit dem Verändern der Nelken und Aurikeln, 
um schönere Spielarten hervorzubringen. Diese Beschäftigung führte 
ihn mehr und mehr zum Nachdenken über die Natur und die richtige 
Behandlung der Pflanzen und über die Mängel des landwirtschaft¬ 
lichen Betriebes in seiner Umgebung. Er sah, daß die Landwirte 
keine Kenntnis des Bodens und seiner Bestandteile besaßen, von dem 
Bau ttnd den Bedürfnissen der Pflanzen nichts wußten und die alte 
Zwei- und Dreifelderwirtschaft trotz der elenden Erträge gedankenlos 
weiter trieben. Bei dem weiteren Nachdenken über diese Mängel 
erkannte er aber auch, daß die schweren Lasten und Gerechtsamen 
aller Art, die an Grund und Boden hafteten, die Landwirtschaft zu 
einem so armseligen Gewerbe machten und die Verbesserung derselben 
hinderten. 
Da sein Nerverleiden auch weiterhin ihn zur Beschäftigung mit 
ländlichen Arbeiten nötigte und die Landwirtschaft ihn immer mehr 
anzog, so kaufte er, um seine Erfahrungen in größerem Maßstabe zu 
prüfen und zum Nutzen der Landwirtschaft zu verwerten, einen Garten 
vor der Stadt mit etwas Acker, der aber zumeist aus dürrem Flugsand¬ 
boden bestand, und stellte hier in der Zeit, die sein ärztlicher Beruf 
ihm frei ließ, größere Versuche an. Nach und nach dehnte er seine 
Wirtschaft bis auf 120 Morgen aus, baute die nötigen Wirtschafts¬ 
gebäude, richtete sie zweckmäßig ein und verlebte hier den ganzen 
Sommer, während er den Winter seiner ärztlichen Praxis wegen in 
der Stadt zubrachte. Er führte manche Neuerung ein, namentlich 
machte er den Versuch, die Brache zu verdrängen. Die Bauern 
meinten freilich, „der Doktor" werde sein Feld schnell genug aus¬ 
gemergelt haben. Er ließ sich aber nicht beirren, verbesserte durch 
zweckmäßige Bearbeitung seinen Boden und erzielte, wenn auch ver¬ 
schiedene Versuche mißlangen, durch angemessenen Fruchtwechsel, durch 
den Anbau der Futterkräuter statt der Brache und durch kräftige 
Düngung, welche ihm durch die Stallfütterung möglich gemacht wurde, 
fast doppelte Erträge. 
Seine eigenen Beobachtungen und Erfahrungen prüfte, sichtete und 
erweiterte er durch eifriges Studium der Naturwissenschaften und 
namentlich der Schriften der vorgeschrittenen englischen Landwirte und 
gab, als er durch Erfahrung und Wissenschaft seine Überzeugung fest 
gegründet hatte, seine erste landwirtschaftliche Schrift: „Unterricht über 
den Kleebau und die Stallfütterung in Fragen und Antworten für den 
Lüneburgischen Landwirt", die er als Mitglied der landwirtschaftlichen 
Gesellschaft zu Celle verfaßte, heraus. Mit Eifer förderte er den 
Kartoffelbau, der bisher erst in Gärten und nur in geringem Umfange 
auf dem Acker betrieben wurde, und bewahrte so, da sein Beispiel 
Nachahmung fand, ganze Landschaften in den folgenden Kriegsjahren 
vor Hungersnot. In verständiger Weise machte er dabei darauf auf¬ 
merksam, daß nicht jeder Boden jede Futterart trage, verglich darum 
einen Landwirt, der alles baue, einem Schneider, der auch seine Schuhe
	        
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