Full text: Lesebuch für Fortbildungsschulen

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men, vorwurfsvollen Blicke von Weib und Kind besserten den Leicht¬ 
sinnigen nicht, sondern trieben ihn eher wieder ins Wirtshaus. Ans 
Gram starb die Mutter, als unser Johann Jakob noch ein kleiner Knabe 
war. Mit dem Einzug einer Stiefmutter trieb es der Vater noch 
schlimmer als zuvor. Oft prügelte er Frau und Kinder oder tobte 
und wetterte derart, daß der arme Junge aus Furcht auf dem Heu¬ 
boden des Nachbars ein Nachtlager aufsuchte und seinen Hunger an 
einem Stück Brot stillte, das ihm mildthätige Menschen gegeben hatten. 
Diese unerträgliche Tyrannei hielten die älteren Brüder nicht lange aus. 
Kaum der Schule entlassen, wandte einer nach dem andern dem elterlichen 
Hause den Rücken und ging rheinabwärts. Der eine siedelte sich in 
Neuwied am Rheine an; ein anderer erfreute sich in London, ein dritter 
in New-Pork eines guten Auskommens. 
Nur unser Johann Jakob mußte als Jüngster zu Hause bleiben 
und das Geschäft seines Vaters größtenteils allein besorgen. Nun wurde 
er in die harte Schule des Lebens genommen. In dieser lernte er 
selbständig denken uno handeln und reifte bald zu einem männlich ent¬ 
schlossenen Charakter heran. Er sah ein, daß nur die Flucht aus diesen 
trostlosen Verhältnissen seine Zukunft sicherstellen könne. Manche Nacht 
mag er Pläne geschmiedet und wieder verworfen haben, wie er durch 
Fleiß, Betriebsamkeit und Ehrlichkeit sein Glück in der Welt begründen 
könne. Diese. häufige Einkehr in sich selbst war es, die aus einem 
armen, hilflosen Bauernjungen einen von Jugendthorheiten freien, ziel¬ 
bewußten Mann machten, und so zog er denn 1777 seinen Brüdern nach. 
Zunächst lernte er bei seinem Bruder in London musikalische In¬ 
strumente anfertigen. Als der im Jahre 1783 zwischen England und 
den Vereinigten Staaten abgeschlossene Friede die Unternehmungslust 
aufs neue weckte, ging er nach Amerika. Hier lernte er einen Lands¬ 
mann kennen, der einen Pelzhandel betrieb und sich damit bereits ein 
Vermögen erworben hatte. Auf dessen verlockende Schilderungen hin 
beschloß Astor, dieses Geschäft ebenfalls zu betreiben. Er trat in New- 
Tjork bei einein Kürschner, einem alten braven Quäker, in die Lehre. 
Als dieser seinen großen Fleiß, seine Pünktlichkeit und Geschicklichkeit 
sah, da Astor mit ganzer Seele bei der Arbeit war, so erhöhte er frei¬ 
willig seinen Lohn, den Astor treulich zusammensparte. Durch seinen 
großen Eifer war Astor in wenigen Jahren nicht bloß ein gründlicher 
Kenner seines Geschäftes in allen Zweigen, sondern er lernte auch 
durch die direkten Einkäufe bei den Indianern und Farmern, womit 
ihn sein Lehrherr betraute, die billigsten und besten Bezugsquellen kennen. 
Nach dem Tode seines Lehrherrn fing Astor im Jahre 1786 ein 
eigenes Geschäft an. Die gesammelten Kenntnisse und Erfahrungen 
kamen ihm jetzt trefflich zustatten. Während andere Pelzhändler ihre
	        
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