Full text: Lesebuch für Fortbildungsschulen

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harte Zeiten, besonders wenn er von Jugend auf nicht zart gewöhnt ist. 
Lange dauerten sie nicht; denn statt wie andere junge Maler in 
der Kneipe zu prahlen, was er Großes leisten wolle, blieb er stille zu 
Hause sitzen und lithographierte wie in Freiburg, nur daß er jetzt die 
Bilder der ersten Meister für ein von Künstlern herausgegebenes Werk 
vervielfältigte. Das trug ihm nicht nur Geld zum Lebensunterhalte 
ein, es förderte auch sein Talent und gab ihm eine durch die Übung 
erlangte Freiheit in der Zeichnung, um die ihn später die meisten Fach¬ 
genossen beneideten. Dabei malte er Bildnisse und vervielfältigte auch 
diese durch die Lithographie; denn damals gab cs noch keine Photographen. 
Nach vier Jahren reiste er nach Karlsruhe, wo er sich als Bild¬ 
nismaler niederließ. Zwei Jahre später erhielt er eine kleine Staats- 
unterstützung, um eine Reise nach Italien, dem Lande der Kunst, zu 
unternehmen. Hier fesselten ihn die sonnige Natur, die malerische Schön¬ 
heit, die selbst dem geringsten Bettler innewohnt, das Studium der herr¬ 
lichen Kunstgebilde, die nicht wie bei uns nur vereinzelt die großen 
Städte schmücken, sondern überall zu finden sind. Begeistert von dem 
Geschauten griff er zum Pinsel; jetzt erst wurden ihm die höchsten Be¬ 
griffe von Kunst klar; er schuf plötzlich unsterbliche Meisterwerke. Seine 
Darstellungen italienischen Volkslebens entzückten in den Ausstellungen 
großer deutscher Städte und hauptsächlich in Paris. 
Der sauen von Menzenschwand war ein berühmter Maler gewor¬ 
den, von dem man in allen vornehmen Gesellschaften sprach, der bald 
an allen Fürstenhöfen heimisch wurde. Der Vater und die Mutter 
unseres Großherzogs saßen ihm zu wohlgelungenen Bildnissen, die 
königliche Familie von England hat er gemalt, Kaiser Wilhelm und 
Kaiserin Augusta verewigte sein Pinsel, die schönsten Bilder vom Kaiser 
Louis Napoleon und der Kaiserin Eugenie rühren von Winterhalter her. 
Es gab bald keine fürstliche Person mehr, die nicht darnach gestrebt 
hätte, von dem berühmten Meister gemalt zu werden. Er konnte kaum 
die vielen Aufträge ausführen und kam leider selten mehr dazu, eines 
jener reizvollen Bilder zu vollenden, die zu Dutzenden skizziert in seiner 
Mappe lagen oder doch in seinem Kopfe lebten. 
Die Sommermonate brachte er in Baden-Baden zu, wo er eine 
prächtige Villa besaß, den Winter über blieb er in Paris oder malte au 
den Fürstenhösen. So ging er 1852 nach Spanien, um die Königin 
Jsabella zu malen; 1854 malte er die Kaiserin Eugenie mit ihren Hof¬ 
damen, 1857 die Kaiserin von Rußland, 1864 den König Wilhelm und 
die Königin Augusta von Preußen im Krönungsornat, das österreichische 
Kaiserpaar in demselben Jahre, 1865 den König und die Königin von 
Württemberg, 1866 die Großfürstin Helene. 
Obwohl ihm das Leben in Paris einige Zeit zusagte, blieb er doch
	        
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