Full text: Lesebuch für gewerbliche Unterrichtsanstalten

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30^ Kreuzer bin ich schuldig!" schreie ich der Witwe zu, die oben auf 
der Treppe steht. 
Ich habe der Witwe bei Heller und Pfennig meine Schuld be¬ 
zahlt. Das tröstet mich jetzt, und das nehme ich mit ins Grab. 
B, Auerbach. 
20. Das Lehrjungen- oder Lehrburfchenwefen in der Zunftzeit. 
Lehrjungen oder Lehrburschen, worunter die verstanden wurden, 
die ¡bet einem Handwerksmeister oder an einzelnen Orten bei der 
von einem solchen nachgelassenen Witwe, den Landesgesetzen und 
Jnnungsgewohnheiten gemäß, ein Handwerk erlernen wollten, mußten 
ehelicher Geburt, ehrlichen Standes und von ehrlichem Herkommen 
sein und sich zu einer von den drei in Deutschland eingeführten 
christlichen Religionsparteien bekennen. Die Juden waren in vielen 
Ländern, z. B. in Hessen und in Preußen, zunftunfähig und durften 
kein Handwerk betreiben. Ebenso erklärte man eine Reihe von Berufs¬ 
geschäften für unehrlich und die ihnen Entstammenden zum Betriebe 
eines ehrbaren Gewerbes für unfähig. Die Handwerker sollten so 
rein sein, als wären sie von den Tauben ausgelesen. Die Söhne 
von Trompetern, Gerichtsdienern, Zöllnern, Reitknechten, Badern, 
Müllern, Schäfern, Totengräbern, Nachtwächtern, Dienern, Holz- und 
Feldhütern und, wie es sich von selbst verstand, von Scharfrichtern 
wurden nie und nimmer zur Erlernung eines ehrsamen Handwerks 
zugelassen, auch wenn die Eltern die bravsten Leute von der Welt 
waren und ihnen kein anderer Makel als der durch Vorurteil und 
Aberglauben hervorgerufene der Abstammung anhaftete. In Hessen 
durften die Söhne bäuerlicher Herkunft nur dann ein Handwerk er¬ 
lernen, wenn sie die schriftliche Erlaubnis der Gerichtsobrigkeit erbrachten, 
und diese wiederum konnte nur dann erteilt werden, wenn ein Bauer 
zur Landarbeit oder zum Militärdienste wegen Schwächlichkeit oder 
Gebrechlichkeit untüchtig war. 
Hatte nun der Knabe mittels einer „Geburtskundschaft" dargetan, 
daß ihm und seiner Familie nichts Ehrenrühriges anklebe, so mußte er 
sich, bevor er ins 
Handwerk aufge¬ 
nommen wurde, zur 
Prüfung seiner 
Fähigkeiten einer 
Probezeit unter¬ 
ziehen, die je nach 
den verschiedenen 
Gewerben auf 
2—4 Wochen fest- 
Zunstlade. gesetzt war. Nach 
dem günstigen 
Verlaufe dieser Probezeit begann erst die eigentliche Lehrzeit. Ein 
Lehrvertrag im heutigen Sinne des Wortes scheint nicht üblich ge¬
	        
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