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tolofsen Platz, das Segel wurde mehr und mehr durch den Dampf
verdrängt, und an Stelle des Radtriebwerkes trat die Schraube. Die
Bundesmarine wurde durch tüchtige Panzerfregatten verstärkt, unter
diesen auch „König Wilhelm", damals das stärkste Schiff der Welt,
war aber, als der deutsch-französische Krieg ausbrach, doch noch zu
schwach, um sich in offener Seeschlacht mit dem französischen Blockade¬
geschwader messen zu können, das nur infolge der Unfertigkeit seiner
eigenen Ausrüstung und durch die schnell auf dem Lande erfolgenden
Entscheidungsschläge daran gehindert wurde, uns den empfindlichsten
Schaden zuzufügen. Nichtsdestoweniger schädigte die nur fünfwöchent¬
liche gelinde Blockade die drei Häfen Bremen, Hamburg und Stettin
um mehr als 20 Millionen Mark. Aber trotz ihrer schwäche fügte
die deutsche Flotte ihren früheren Ruhmesblättern einige neue hinzu.
Unvergessen bleibt ihr das siegreiche Gefecht zwischen dem Kanonenboot
„Meteor" und dem französischen Aviso „Bouvet" am 9. November 1870
vor dem Hafen von Havanna, unvergeffen auch der kühne Kaperkrieg,
den die Korvette „Augusta" im Angesicht der französischen Küste trieb,
bis sie beim Ergänzen der Kohlenvorräte von französischen Panzer¬
schiffen im Hafen von Vigo blockiert und somit außer Tätigkeit gesetzt
wurde. Nach der Wiedererstehung des Reiches aber wurde aus der
Bundesmarine eine Reichs-Kriegsmarine, eine Waffe, die besser als
jede andere den Einheitsgedanken zur Anschauung bringt.
6. Der gewaltige nationale Aufschwung, den das geeinte Deutsch¬
land nahm, prägte sich deutlich in dem schnellen Wachstum des deut¬
schen Handels und der deutschen Industrie aus. Letztere eroberte sich
nach und nach den Weltmarkt, und der deutsche Handel rückte an die
zweite Stelle. Heute beträgt der Wert des deutschen Seehandels etwa
6 */2 Milliarden Mark, und bewältigt wird er von der zweitgrößten
Handelsflotte der Welt, die einen Neuwert von 700 Millionen Mark
hat. Das ist ein nationales Vermögen, das gegen feindliche Angriffe
geschützt werden muß. Deutschland ist ein Kolonialstaat geworden, um
der immer mehr wachsenden deutschen Bevölkerung deutschen Boden
zur Ausbreitung zu bieten und nicht durch Auswanderung die kostbare
Nationalkraft zu schwächen. Diesen wertvollen Besitz muß das Reich
beschirmen. Deutschland braucht für seine Industrie und zur Er¬
nährung seiner Bewohner die Einfuhr von Rohmaterial und Getreide;
es muß deshalb die Einfuhrwege freihalten. Endlich muß es
seine eigenen Küsten vor feindlichen Landungen, Beschießungen und
Brandschatzungen wahren. Dies alles ist ohne eine starke Kriegsflotte
nicht möglich. Darum hat der Kaiser seine Sorge dem Ausbau
der deutschen Kriegsmarine zugewandt, um sie auf die Stärke zu
bringen, die für des Vaterlandes Sicherheit nötig erscheint. In ab¬
sehbarer Zeit soll die Flotte in den heimischen Gewässern bestehen aus
zwei Schlachtflotten von je 17 Linienschiffen, acht Aufklärungsgruppen
zu je vier großen und kleinen Kreuzern und sechzehn Torpedoboot¬
divisionen, gebildet aus je einem Führerschiff und vier Hochseetorpedo¬
booten. Trotzdem dies eine recht ansehnliche Seemacht ist, steht sie
doch noch hinter der anderer Seemächte zurück, deren Handel sich