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einmal seine Leistungen während der Woche und bringt seine Bücher
und Briefschaften in Ordnung. Er sucht sich weiter auszubilden in
seinem Berufe durch das Lesen der Fachzeitschriften und nützlicher
Bücher. Kein Tag ist hiezu so geeignet als der Sonntag. Denn die
Ruhe des Körpers und der Seele macht den Geist empfänglich, sich in
das Schrifttum unseres Volkes, in die Schöpfung unserer Dichter und
Denker zu versenken, sich an grossen Beispielen zu erbauen, im Geiste
weite Länder und Meere zu durchqueren. Und wie anregend wirkt
dieses Lesen, besonders wenn die ganze Familie daran teilnimmt, wenn
Lehrlinge und Gehilfen zuhören, wenn bekannte Meister und traute
Freunde sich einfinden! Es veranlasst einen regen Austausch der
Meinungen, eine gegenseitige Belehrung, eine gewinnbringende Unter¬
haltung. Dadurch wird aber auch der Geist der Zusammengehörigkeit
und Geselligkeit gefördert, das Familienleben in schöner Weise gepflegt
und die Gefahr vermieden, dass die einseitige Beschäftigung in der
Werkstatt einen nachteiligen Einfluss auf die Seele und den Geist des
arbeitenden Menschen ausübe.
Der Handwerker soll keineswegs ein Kopfhänger werden; im fröh¬
lichen Gespräch, im belebenden Verkehr mit seinen Freunden und Mit¬
meistern, in der Teilnahme an besseren geselligen Unterhaltungen soll er
des Lebens Freuden gemessen. Namentlich wird ein Spaziergang in
Gottes herrlicher Natur seine Gesundheit stärken und Herz und Sinn
dem Schönen erschließen. Wie schön ist es, wenn Männer, Frauen
-und Kinder, die während der Woche des Tages Last und Anstrengung-
getragen, die in ihren Wohnungen oft kaum ein Stück vom Himmel
gesehen haben, nun einmal den ganzen blauen Himmel erblicken, die
freie, frische Luft genießen und sich erbauen an Gottes bewunderns¬
werter Schöpfung! Sie nehmen von dieser schönen Feier des Sonntags
den Eindruck mit nach Hause, dass die ewige Liebe Gottes sie zu
etwas Besserem geschaffen und berufen hat, als zu dem armen, schweren
Erdenleben.
Solche Sonntagsfeier wird den Menschen auch abhalten, seine ganze
freie Zeit im Wirtshause zu verbringen. „Freude in Ehren kann niemand
wehren“, aber das lange Wirtshaussitzen, das wüste Treiben und Johlen
ist des heiligen Tages und des Christen unwürdig. Wie mancher sonst
so brave Mann ist durch diese Entheiligung des Sonntags auf eine
schiefe Bahn geraten, wie manches Hauswesen schon den Krebsgang
gegangen! Der weise Salomon ruft aus: „Sei nicht unter den Schlemmern
und Säufern; denn »sie werden verarmen!“
Aber nicht nur für den Einzelnen wirkt die Sonntagsentheiligung
verderblich, sondern auch für das ganze Volk; es geht sittlich und
wirtschaftlich rückwärts. Mit Recht sagt Ernst Moritz Arndt in einer
seiner kernhaften Schriften: „Dem Volke, welches keinen Sonntag mehr
hat, wird bald nichts mehr heilig sein.“ Sorgt, also, Handwerker und
Bürger, so viel an euch liegt, dass der Sonntag wieder gefeiert wird, wie
er im Mittelalter in den guten Bürgersfamilien begangen wurde: durch
Ruhe und Pflege des Geistes und Körpers, durch Erfüllung eurer religiösen
Pflichten, durch Fortbildung in eurem Berufe, durch Pflege des Familien¬
lebens und anregender Gesellschaft und durch veredelnden Genuss der Natur.