Full text: Lesebuch für gewerbliche Fortbildungsschulen

Der beste Empfehlungsbrief. — Die letzte Nacht im Elternhause. 
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154. Der beste Empfehlungsbrief. 
Auf das Ausschreiben eines Kaufmanns, durch welches ein Laufbursche 
gesucht wurde, meldeten sich etwa fünfzig Knaben. Der Kaufmann wählte 
rasch einen davon und verabschiedete die andern. „Ich möchte wohl wissen," 
sagte ein Freund, der zufällig zugegen war, „warum du gerade diesen Knaben, 
der doch nicht einmal, wie einige andere, einen Empfehlungsbrief vorweisen 
konnte, bevorzugtest?" „Du irrst," lautete die Antwort, „dieser Knabe hatte 
viele Empfehlungen. Er putzte seine Füße ab, ehe er ins Zimmer trat, und 
machte die Tür zu; er ist daher sorgfältig. Er gab ohne Besinnen seinen 
Stuhl jenem lahmen, alten Manne; das beweist seine Herzensgüte und Auf¬ 
merksamkeit. Er nahm seine Mütze ab, ehe er hereinkam, und antwortete 
auf meine Frage schnell und sicher; er ist also höflich und hat gute Sitten. 
Er hob das Buch auf, welches ich absichtlich auf den Boden gelegt hatte, 
während alle übrigen es zur Seite stießen oder darüber stolperten. Er 
wartete ruhig und drängte sich nicht heran — ein gutes Zeugnis für sein 
anständiges Benehmen. Ich bemerkte ferner, daß sein Nock gut ausgebürstet 
und Hände und Gesicht rein waren. Sind das nicht genug Empfehlungen? 
Ich gebe mehr darauf, was ich über einen Menschen weiß, nachdem ich ihn 
zehn Minuten lang gesehen habe, als auf das, was in schön klingenden 
Empfehlungsbriefen geschrieben steht." Ma§d-burg-r Z-uung. 
155. Die letzte Ducht im Eifemhaufe. 
1. Das griff ans Herz, und ich vergoß es nimmer: 
Es war die letzte Nacht im Vaterhaus; 
zieh'n sollt' ich mit dem ersten Frührotschimmer, 
vielleicht auf ewig, in die Welt hinaus. 
2. Noch lag ich schlaflos auf dem weichen Pfühle; 
denn viel bewegte mir die junge Brust: 
des Heimwehs Vorgefühl, des Scheidens Schwüle 
und Hoffnung doch und rege Wanderlust. 
3. Da schlug es zwölf. — Die Lampe brannte trübe, 
und leise schritt es durch die Kammertür; 
ein Geist erschien mir, doch ein Geist der Liebe; 
denn meiner Mutter gleich erschien er mir. 
4. Sie nahte still, als wollte sie nicht stören 
des Sohnes, wie sie meinte, tiefe Ruh'. 
Ich hört' sie, doch ich schien sie nicht zu hören; 
ich sah sie, doch ich schloß die Augen zu. 
5. Wie nah' ihr Odem! Ihre Hände lagen 
auf meinem Haupte wie schon oft zuvor; 
erlauscht' ich auch nicht ihrer Lippen Klagen, 
mein Herz vernahm, was nicht vernahm mein Ohr.
	        
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