Full text: Lesebuch für gewerbliche Fortbildungsschulen

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selben doch nicht die ganze Mir gestellte Aufgabe. Neben dem weiteren 
Ausbau der Arbeiter-Versichernngsgesetzgebnng sind die bestehenden Vor¬ 
schriften der Gewerbeordnung über die Verhältnisse der Fabrikarbeiter 
einer Prüfung zu unterziehen, um den auf diesem Gebiete laut gewordenen 
Klagen und Wünschen, soweit sie begründet sind, gerecht zu werden. 
Diese Prüfung hat davon auszugehen, daß es eine der Aufgaben der 
Staatsgewalt ist, die Zeit, die Dauer und die Art der Arbeit so zu 
regeln, daß die Erhaltung der Gesundheit, die Gebote der Sittlichkeit, 
die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Arbeiter und ihr Anspruch auf gesetzliche 
Gleichberechtigung gewahrt bleiben." 
Zur Ausführung der in dem kaiserlichen Erlaß ausgesprochenen Grund¬ 
sätze erging schon am 29. Juli 1890 das Gesetz über die Gewerbege¬ 
richte st. Nr. 113), wodurch zur Austragung der ans dem Arbeitsverhältnis 
entstehenden Nechtsstreitigkeiten ein besonders rasches und billiges Verfahren 
von besonderen Gerichten geschaffen wurde, in denen stets sowohl ein Arbeit¬ 
geber wie auch ein Arbeitnehmer bei der Entscheidung mitwirkt, also eine 
sachverständige Beurteilung der vorkommenden Streitigkeiten gewährleistet ist. 
Das zweite und wichtigste Gesetz auf diesem Gebiete ist das sogenannte 
Arbeiterschutzgesetz vom 1. Juni 1891 (eigentlich ein Nachtragsgesetz zur 
Gewerbeordnung). Hierin wurde der Grundsatz aufgestellt, daß am Sonntag 
soweit als möglich die Arbeit ruhen solle; es wurden Bestimmungen gegen 
die übertriebene Ausnutzung jugendlicher und weiblicher Arbeiter erlassen; 
die Gewerbeunternehmer wurden verpflichtet, die Arbeitsräume, Betriebsvor- 
richtnngen, Maschinen und Gerätschaften so einzurichten, daß die Arbeiter 
gegen Gefahren für Leben und Gesundheit möglichst geschützt sind (s. Nr. 133); 
es wurden endlich besondere Beamte, Gewerberäte und Gewerbeinspektoren 
eingesetzt, welche die Durchführung dieser Vorschriften zu überwachen haben. 
4. Vorläufig ist hiermit die Arbeiterschutzgesetzgebnng abgeschlossen, aber 
nicht endgiltig. Das wirtschaftliche Leben eines Volkes ist in steter Bewegung 
und Umbildung begriffen; deshalb wird man auch an Gesetzen, die wirtschaft¬ 
liche Verhältnisse zu regeln bestimmt sind, leicht Einzelheiten ausfindig machen 
können, die besser und vollkommener sein könnten. Auch können die Vorschriften 
solcher Gesetze niemals allen Wünschen und Ansprüchen gleichzeitig gerecht 
werden. Umsomehr muß man dankbar anerkennen, wenn ein Gesetz zwischen 
einander widerstreitenden Interessen die richtige Mittellinie trifft. Dies war 
und ist bei den Versicherungsgesetzen und dein Arbeiterschutzgesetze keine leichte 
Aufgabe. Es ist natürlich, daß die Arbeiterfürsorge ganz bedeutende Opfer 
an Geldmitteln erfordert. Diese fallen zum größten Teile den Unternehmern 
zur Last und bilden für sie einen neuen, schwerwiegenden Bestandteil ihrer 
Geschäftsunkosten. Letztere dürfen aber nicht so hoch gesteigert werden, daß 
unsere einheimische Industrie nicht mehr imstande ist, mit der ausländischen 
auf dem Weltmärkte in Wettbewerb zu treten. 
Trotz dieser dem Gesetzgeber durch den Zwang der Verhältnisse ge¬ 
zogenen Schranken ist auf Grund der vorhandenen Gesetze Großartiges für 
die Arbeiter-Wohlfahrt geleistet worden. Im Jahre 1895 waren gegen Krank¬ 
heit über 8 Millionen, gegen Unfall über 18 Millionen, gegen Invalidität 
über 111/2 Millionen Arbeiter versichert. In den Jahren 1885—1895 haben 
im ganzen 25061620 Personen Entschädigungen an Krankheitskosten und 
laufenden Renten erhalten, und diese Entschädigungen haben in Summa 
1243 /63 965 Mark, also nahezu U/4 Milliarde betragen. Gegenwärtig werden
	        
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