437
selben doch nicht die ganze Mir gestellte Aufgabe. Neben dem weiteren
Ausbau der Arbeiter-Versichernngsgesetzgebnng sind die bestehenden Vor¬
schriften der Gewerbeordnung über die Verhältnisse der Fabrikarbeiter
einer Prüfung zu unterziehen, um den auf diesem Gebiete laut gewordenen
Klagen und Wünschen, soweit sie begründet sind, gerecht zu werden.
Diese Prüfung hat davon auszugehen, daß es eine der Aufgaben der
Staatsgewalt ist, die Zeit, die Dauer und die Art der Arbeit so zu
regeln, daß die Erhaltung der Gesundheit, die Gebote der Sittlichkeit,
die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Arbeiter und ihr Anspruch auf gesetzliche
Gleichberechtigung gewahrt bleiben."
Zur Ausführung der in dem kaiserlichen Erlaß ausgesprochenen Grund¬
sätze erging schon am 29. Juli 1890 das Gesetz über die Gewerbege¬
richte st. Nr. 113), wodurch zur Austragung der ans dem Arbeitsverhältnis
entstehenden Nechtsstreitigkeiten ein besonders rasches und billiges Verfahren
von besonderen Gerichten geschaffen wurde, in denen stets sowohl ein Arbeit¬
geber wie auch ein Arbeitnehmer bei der Entscheidung mitwirkt, also eine
sachverständige Beurteilung der vorkommenden Streitigkeiten gewährleistet ist.
Das zweite und wichtigste Gesetz auf diesem Gebiete ist das sogenannte
Arbeiterschutzgesetz vom 1. Juni 1891 (eigentlich ein Nachtragsgesetz zur
Gewerbeordnung). Hierin wurde der Grundsatz aufgestellt, daß am Sonntag
soweit als möglich die Arbeit ruhen solle; es wurden Bestimmungen gegen
die übertriebene Ausnutzung jugendlicher und weiblicher Arbeiter erlassen;
die Gewerbeunternehmer wurden verpflichtet, die Arbeitsräume, Betriebsvor-
richtnngen, Maschinen und Gerätschaften so einzurichten, daß die Arbeiter
gegen Gefahren für Leben und Gesundheit möglichst geschützt sind (s. Nr. 133);
es wurden endlich besondere Beamte, Gewerberäte und Gewerbeinspektoren
eingesetzt, welche die Durchführung dieser Vorschriften zu überwachen haben.
4. Vorläufig ist hiermit die Arbeiterschutzgesetzgebnng abgeschlossen, aber
nicht endgiltig. Das wirtschaftliche Leben eines Volkes ist in steter Bewegung
und Umbildung begriffen; deshalb wird man auch an Gesetzen, die wirtschaft¬
liche Verhältnisse zu regeln bestimmt sind, leicht Einzelheiten ausfindig machen
können, die besser und vollkommener sein könnten. Auch können die Vorschriften
solcher Gesetze niemals allen Wünschen und Ansprüchen gleichzeitig gerecht
werden. Umsomehr muß man dankbar anerkennen, wenn ein Gesetz zwischen
einander widerstreitenden Interessen die richtige Mittellinie trifft. Dies war
und ist bei den Versicherungsgesetzen und dein Arbeiterschutzgesetze keine leichte
Aufgabe. Es ist natürlich, daß die Arbeiterfürsorge ganz bedeutende Opfer
an Geldmitteln erfordert. Diese fallen zum größten Teile den Unternehmern
zur Last und bilden für sie einen neuen, schwerwiegenden Bestandteil ihrer
Geschäftsunkosten. Letztere dürfen aber nicht so hoch gesteigert werden, daß
unsere einheimische Industrie nicht mehr imstande ist, mit der ausländischen
auf dem Weltmärkte in Wettbewerb zu treten.
Trotz dieser dem Gesetzgeber durch den Zwang der Verhältnisse ge¬
zogenen Schranken ist auf Grund der vorhandenen Gesetze Großartiges für
die Arbeiter-Wohlfahrt geleistet worden. Im Jahre 1895 waren gegen Krank¬
heit über 8 Millionen, gegen Unfall über 18 Millionen, gegen Invalidität
über 111/2 Millionen Arbeiter versichert. In den Jahren 1885—1895 haben
im ganzen 25061620 Personen Entschädigungen an Krankheitskosten und
laufenden Renten erhalten, und diese Entschädigungen haben in Summa
1243 /63 965 Mark, also nahezu U/4 Milliarde betragen. Gegenwärtig werden