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volkstümlichen Auffassung angepaßt und auch die Sprache sehr verbessert.
Gegeu Ende des Jahres 1895 war der zweite Entwurf fertig. Er wurde im
Bundesrate und dann im Reichstage mit großer Beschleunigung beraten, und
schon am 18. August 1896 erhielt das „Bürgerliche Gesetzbuch für das
Deutsche Reich" die Unterschrift Kaiser Wilhelms II. Mit dem
1. Januar 1900 ist es in Kraft getreten.
Das Gesetzbuch ist in fünf Bücher eingeteilt. Der erste „Allgemeine
Teil" enthält Vorschriften, die teils den folgenden Büchern gemeinsam sind,
teils in ihren Zusammenhang nicht passen und deshalb anderswo untergebracht
werden mußten. Das zweite Buch, „Recht der Schuld Verhältnisse",
regelt die Geschäfte und Verhältnisse des täglichen Verkehrs (Kauf, Miete,
Pacht, Darlehn usw.). Das dritte Buch, „Sachenrecht", handelt von den
Rechtsbeziehungen zwischen Personen und Sachen (Eigentum, Nießbrauch,
Pfandrecht u. dergl.). Das vierte Buch, „Familienrecht", ordnet die
Familienverhältnisse (Ehe, Elternrecht, Vormundschaft) und ihre Wirkungen
auf das Vermögen. Das fünfte Buch, „Erbrecht", giebt Vorschriften über
die Vererbung der Habe von Verstorbenen (Testament, Pflichtteil usw.). Das
Gesetzbuch enthält kein völlig neues Recht, sondern meistens Vorschriften,
die schon in bem bisherigen Rechte, zumal im preußischen „Allgemeinen Land¬
rechte", für große Teile unseres Vaterlandes galten.
Jedoch nicht alle Rechtsregeln des bürgerlichen Verkehrs finden sich im
bürgerlichen Gesetzbuche vor. Gleichzeitig mit ihm traten mehrere ergänzende
Reichsgesetze in Kraft, z. B. ein Handelsgesetzbuch und eine Grnndbnchordnung.
Ferner waren von 1871 bis 1899 viele Reichsgesetze ergangen, die bereits
für gewisse Gebiete einheitliches Recht brachten, z. B. im Genossenschaftswesen
(s. Nr. 178). Alle diese Reichsgesetze bleiben neben dem bürgerlichen Gesetz¬
buche bestehen.
Aber wie das Reich einen Kaiser und die einzelnen deutschen Staaten •
besondere Landesherren haben, so ist auch künftig das bürgerliche Recht nicht
ausschließlich Reichsrecht, sondern teilweise auch Landesrecht. Die Verhältnisse
in den deutschen Gauen sind so verschieden, daß man mancherlei der besonderen
Gesetzgebung der einzelnen Länder überließ, z. B. das Wasser-, Jagd- und
Bergwerksrecht. Wo jedoch das Reichsrecht eine Vorschrift giebt, da darf das
Landesrecht nicht eingreifen; also heißt es nicht wie im alten Deutschen Reiche:
„Landrecht bricht Reichsrecht" sondern umgekehrt: „Reichsrecht bricht
Landrecht."
Nachdem die Aufrichtung des Deutschen Reiches durch Kaiser Wilhelm I.,
seinen großen Kanzler und sein tapferes Heer das deutsche Volk nach außen
einig und mächtig gemacht hat, ist durch die Schöpfung des neuen bürgerlichen
Rechtes das Einigungswerk innerlich vollendet und das lange erstrebte Ziel
erreicht: Ein Kaiser, Ein Reich, Ein Recht! Müller.
*265. Das deutsche Heerwesen.
1. Die bewaffnete Macht des Deutschen Reiches ist wie in
allen civilisierten Ländern vor allem zum Schutze des Staates und
seiner Angehörigen gegen äussere Feinde bestimmt. Durch sie
finden alle nach aussen gerichteten politischen Verhandlungen und
Massnahmen (s. Nr. 234, 256) ihren festen Rückhalt. Nur aus¬
nahmsweise, z. B. wenn zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ord¬
nung und Sicherheit, oder zur Unterdrückung innerer Unruhen