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74. Aus Friedrich Perthes' Jugendzeit.
doch ich denke, es soll sich geben.« — Mittags und abends aisen sie
mit der Familie reichlich und gut; aber schrecklich war für sie, be¬
sonders wenn fetter Braten in Kürbisbrei aufgetragen ward; denn es
war Gesetz, dass schlechterdings alles gegessen werden musste, was
auf den Tisch gegeben wurde. Das »Er«, mit welchem sie von den
Kindern und selbst von den Dienstmädchen und Markthelfern an¬
geredet wurden, kränkte Perthes tief, aber freudig schrieb er: »Mir
wird auch nicht das mindeste zugemutet, was meiner Ehre nachteilig
sein könnte. Andere Lehrburschen müssen z. B. dem Herrn die
Schnallen putzen, den Tisch decken, den Kaffee ins Gewölbe bringen;,
von allem dem bin ich befreit.«
Der Lehrherr war zwar kein Mann von Geist und Kenntnissen,
aber verständig, durchaus redlich und streng sittlich und nicht ohne
Achtung vor Wissenschaft und allem Höheren. Unausgesetzt arbeitete
er jeden Tag von sieben Uhr morgens bis acht Uhr abends, eine Mit¬
tagstunde abgerechnet. Sonntags nach der Kirche las er die Jenaer
Literaturzeitung Wort für Wort und machte dann einen Spaziergang
um die Stadt. Nie spielte er, nie betrat er ein Wirtshaus, nie gab er
Gesellschaft und auch in seinem Hause trank er nur Wasser. Einige
Male im Sommer ging er mit seiner Familie nach einem benachbarten
Dorf und trank eine Flasche Weifsbier; einmal im Jahre fuhr er
nach dem vier Stunden von Leipzig entfernten Störmthal und nahm
dahin ausser Frau und Kindern auch die Lehrlinge mit. Er war aus¬
nehmend gutmütig, aber ebenso jähzornig; einmal gereizt, brach er
in einen Strom erregter Worte aus. Schwer hatte Perthes in den ersten
zwei Jahren seiner Geschäftsunerfahrenheit von diesem Zorne zu leiden.
»Was mir am übelsten bekommt,« schrieb er, »ist, dass mein Herr
Prinzipal ausserordentlich hitzig ist. Macht man nicht alles recht, so
ist der Henker los. Das bin ich denn freilich nicht gewohnt und es
geht mir auch ausserordentlich schwer ein; doch ich werde es ja wohl
gewohnt werden.« War Böhmes Zorn verraucht, so brachte er gut¬
mütig dem Knaben Obst zur Entschädigung oder teilte mit ihm seine
zwei Tassen Nachmittagskaffee nebst den dazu gehörigen zwei Stück¬
chen Zucker.
Dem Vertrage nach lief die Lehrzeit um Michaelis 1793 ab; aber
der mit, Böhme befreundete Buchhändler Hoffmann aus Hamburg,
welcher auf Perthes aufmerksam geworden war und ihn als Gehilfen
in sein Geschäft zu nehmen wünschte, hatte dessen Lehrherm ersucht,
ihn schon Ostern 1793 zu entlassen.
Böhme willigte ein. Bei einem feierlichen Mittagessen trat er an
Perthes heran, hiess ihn aufstehen, gab ihm einen leichten Backen¬
streich, übergab ihm einen Degen, nannte ihn Sie und die Lehrzeit
für den Buchhandel war geendet, aber — die für das Leben noch nicht.
Perthes,