275. Der Seidenspinner und die Seide. 49i)
gekrochen sind, allmählich auf 18 0 R vermindert werden. Ebensv hat fort¬
während eine gleichmäßige Lüftung des Züchtungsranmes und häufig eine
Umlagerung und gleichmäßige Verteilung der Raupen auf den Lagerplätzen
stattzufinden. Die Fütterung der Seidenraupen muß öfters und die Verteilung
der Blätter gleichmäßig erfolgen, damit ihr Wachstum ebenso fortschreite. Mit
jeder Altersstufe und zwischen den einzelnen Häutungen der Raupen steigert
sich deren Bedarf an Nahrung beträchtlich.
Ist die Raupe nach viermaliger Häutung in ungefähr 30—35 Tagen
zu ihrer vollkommenen Entwicklung gelangt, so wird sie unruhig, läuft hin
und her, bis sie einen Ort zum Einspinnen gesunden hat. Sie beginnt nun
gewöhnlich zwischen Baumzweigen ihr merkwürdiges Gespinst zu verfertigen.
Zunächst ankert sie sich mit.,einigen unregelmäßigen Fäden, die in Form eines
klebrigen Saftes aus zwei Öffnungen neben dem Maule hervortreten und an
der Luft rasch erhärten, zwischen den Zweigen fest. Dann umgibt sie sich,
indem sie den Kops hin und her bewegt und dabei einen dünnen Faden
hervorhaspelt, den sie mit den Vorderfüßen um sich wickelt, innerhalb 4 Tagen
mit einem dichten, langen Gespinst (Kokon) von der Größe und Gestalt eines
Taubeneies. Aus demselben bricht sie nach 2—3 Wochen als Schmetterling
hervor. Diese Entwicklung läßt man aber nur zu um für das nächste Jahr
Eier zur Zucht frischer Raupen zu erzielen. Um davon keine zu verlieren
setzt man das Schmetterlingsweibchen vor dem Eierlegen auf ein Blatt Papier,
an welchem die Eier haften bleiben. Kommt die Zeit des Auskriechens, so
bringt man die Eier in eine Stube mit einer Temperatur von 14—22 0 R.
Die jungen Raupen werden gefüttert, indem man frische Maulbeerbaumblätter
auf durchlöchertem Papier über die Blätter des vorigen Tages legt, worauf
die Raupen durch die Löcher im Papier herauf nach der neuen Nahrung
kriechen. Soll der Kokon zu Seide verarbeitet werden, so muß man ver¬
hüten, daß die Puppe sich zum Schmetterling entwickelt; denn dieser durch¬
bricht die Hülle, nachdem er sie mit einer Flüssigkeit, die ihm aus dem Munde
fließt, aufgeweicht hat, und zerstört dadurch das Seidengespinst, dessen Faden
über 3000 ui Länge hat. Man tötet die Puppen daher, indem man sie
entweder in einem Backofen 2—3 Stunden einer Hitze von 45—60 o R
oder warmen Schwefel- oder Heißwafserdämpfen aussetzt. Die. Kokons sehen
weiß, fleischfarben, orange oder gelb aus und müssen zu Strähnen ab¬
gehaspelt werden, wenn man sie nicht in die Fabriken roh verkaufen will.
Die einzelnen Schichten des Kokons sind von ungleicher Beschaffenheit. Die
lockere äußere Hülle liefert die sogenannte Florettseide; die mittlere besteht
aus einem regelmäßigen, unverworrenen Faden von ungefähr 300 irr Länge
und ist die wertvollste; die innerste Schicht ist verworren und bildet die
sogenannte Seidenwatte.
Vor dem Abhaspeln wirft man die Kokons, nachdem sie vorher sortiert
sind, in einen Kessel mit heißem Wasser von 70—75° R, damit sich die
harzigen Teile des Gespinstes lösen. Wenn sie hier durchweicht sind, bringt
man sie in einen Kessel mit Wasser, unter dem ein mäßiges Feuer unterhalten
wird und neben welchem ein Seidenhaspel steht. Das Abhaspeln der Seiden¬
fäden ist eine schwierige Arbeit, welche große Sorgfalt erfordert und in
vielen Städten in besonderen Fabriken (Filatorien) betrieben wird. Durch
Schlagen der Kokons in dem Kessel mit einem Besen von Birkenreisig werden
die Anfänge der Fäden gefunden, wobei ein Teil als Flock- oder Florettseide
in dem Reisig hängen bleibt. Die Hasplerin vereinigt nun 3—8, mitunter
fluch bis 20 Kokonfäden und führt sie durch gläserne Ringe oder Fadenleiter
über einen Fadenführer auf den vier-, sechs- oder achtarmigen Haspel. Der
wagrecht hin und her gehende Fadensührer hat den Zweck, die noch klebrigen