Full text: Welcher die Geschichte des Alterthums und des Mittelalters enthält (Bd. 1)

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seiner Nichte, Agrippina, des Germanicus Tochter, welche ihn zu Gun¬ 
sten ihres Sohnes Nero vergiftete (54 n. Chr.). 
Auch gelang es der Agrippina, des Claudius Sohn Britanniens zurück¬ 
zudrängen und ihren Sohn erster Ehe, den Nero Claudius, zuerst von 
der habsüchtigen Leibwache, dann von dem elenden Senate, endlich von allem 
Volke als Imperator begrüßen zu lassen. Dieser Nero gilt in der Meinung 
der Menschen als das unübertroffene Vorbild aller schändlichen Tyrannei. 
Wenn man auch in den ersten Jahren seiner Negierung glaubte, daß er gut 
und menschlich regieren würde, so sah man sich in dieser Erwartung bald 
schrecklich getäuscht, besonders seitdem die schöne aber lasterhafte Poppäa 
Sabina auf ihn Einfluß gewann. Von dieser Zeit an stürzte er sich aus 
einem Verbrechen in das andere, behandelte die entarteten und verächtlich 
gewordenen Römer, von deren allgemeiner Sittenverderbniß der damals 
lebende Philosoph Sencca eine entsetzliche Schilderung entworfen hat, mit 
einer gräßlichen Menschenverachtung und suchte die Furien seines Gewissens 
mit immer neuen Schandthaten zu beschwichtigen. Wer nur seinen Lüsten, 
seiner Herrschsucht im Wege stand oder seinen Zorn erregte, mußte sterben: 
sein Stiefbruder Britannieus, seine Lehrer Burrhus und Seneca, ja seine 
Mutter und Schwester. Selbst seine geliebte Poppäa, die er nach der Ver¬ 
stoßung der Dctavia zu seiner Gemahlin erhoben hatte, tödtete er durch einen 
Fußtritt. Mit lächerlicher Eitelkeit setzte er seine größte Ehre darein, als 
Komödiant, Sänger oder Tänzer vor dem Volke aufzutreten, und wehe dem 
Zuschauer, der ihm nicht enthusiastischen Beifall klatschte I In einem mord- 
brennerischen Gelüste und in einer verrückten Laune, eine Vorstellung von 
dem Brande Troja's zu haben, ließ er im Jahre 64 n. Chr. die Stadt 
Rom anzünden und deklamirte bei dem Anblick des gräßlichen Feuermeers 
Homerische Verse. Sechs Tage und sieben Nächte dauerte der verheerende 
Brand, wobei die schönsten Denkmäler der Baukunst zu Grunde gingen. 
Um aber den immer drohender werdenden Verdacht von seiner eigenen Per¬ 
son abzuwälzen, schob Nero die Schuld jener Schandthat auf die in Rom 
lebenden Christen, welche damals noch den Römern als eine jüdische Secte 
galten und als Verbreiter eines „neuen Aberglaubens," wie der heidnische 
Hochmuth das Christenthum nannte, verhaßt waren. Mit der ausgesuchtesten 
Grausamkeit wurden dieselben hingerichtet, theils ans Kreuz geschlagen, theils 
in die Häute wilder Thiere eingenäht und die Hunde auf sie gehetzt, theils 
in Pechsäcke gestoßen und so verbrannt, um als Fackeln in den Gärten des 
Kaisers zu leuchten. Zum Neubau der zum großen Theil niedergebrannten 
Stadt, des kaiserlichen Palastes und seines Wohnsitzes, des s. g. goldenen 
Hauses, schritt er zu unerhörten Gelderpressungen und Brandschatzungen der 
Provinzen. Endlich rächten die aufständischen Prätorianer die vierzehn Jahre 
lang verhöhnte Welt. Von allen seinen bisherigen Freunden verlassen, 
mußte das Ungeheuer in bettelhafter Vermummung aus Rom flüchten und ver¬ 
suchte unter unsäglichem Wehklagen und dem wiederholten Ausrufe: „Welch 
ein Künstler stirbt in mir!" sich zu erdolchen, wozu ihm endlich ein Frei¬ 
gelassener behülflich war. Mit dem erst zweiunddreißigjährigen Nero war 
Cäsar's Geschlecht gänzlich erloschen (68 n. Chr.). Der Eindruck jener 
ersten Verfolgung war übrigens bei den Christen so schrecklich, daß sie auch 
nach Nero's Tode nicht an denselben glauben wollten, sondern annahmen, 
er werde einst als der Antichrist wiederkommen.
	        
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